Im Zweifel suedwaerts
Welt, eine unendliche Aussicht. Und wie um diesen Moment perfekt zu machen, drängelten sich sogar ein paar Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke.
»Jetzt komm hierher und iss deinen Fisch, Daphne!«, riss mich Betty aus meinen Schwelgereien.
Wie vom Donner gerührt blieb ich mitten auf der Straße stehen. »Daphne?! Du nennst mich sonst nie Daphne.«
»Nur wenn es wichtig ist. Und das ist jetzt wichtig. Dieser Fisch ist für dich durch die Hölle gegangen, Schätzelein«, erklärte sie streng und brach das Weißbrot in der Mitte durch. »Also setz dich hin und iss ihn.«
Und ich setzte mich hin und aß, und was soll ich sagen? Der Seebarsch aus der Hölle schmeckte in der Tat himmlisch.
8
Der Teil mit dem bösen Wolf
DAPHNES MIXTAPE
Maximo Park – The Coast Is Always Changing
Betty kannte sich ein bisschen aus auf den Straßen Frankreichs. Sie wusste, dass sie schrecklich waren, lang und langweilig. Und dass man alle naselang anhalten und Geld dafür bezahlen musste, dass man auf den langen, langweiligen Straßen fahren durfte. Betty war der Meinung, je schneller wir Frankreich hinter uns ließen, desto glücklicher wären wir am Schluss. Außerdem war es wichtig, unter keinen Umständen in die Nähe von Paris zu kommen. »Unter. Keinen. Umständen«, betonte sie, während sie den Blick starr auf der Autobahn und ihren Fuß schwer auf dem Gaspedal ruhen ließ. »Wenn man erst mal in den Strudel reingeraten ist, dann gibt es keine Rettung mehr. Dann ist das unser Ende.«
»Was ist denn bloß so schlimm an Pa…«
»Ich will nicht darüber reden«, unterbrach sie mich unwirsch, kaute konzentriert auf ihrer Unterlippe, und damit war das Thema beendet.
Ich schob Lucys Kassette in das Kassettendeck. Sie war wieder dran. Außerdem wollte ich mich ein bisschen bei ihr beliebt machen, damit sie zumindest wieder mit mir redete. Irgendein zuckriger Sommerhit erfüllte den Bus, und ich drehte mich zu ihr um, um zu sehen, ob sie meine Geste der Entschuldigung zur Kenntnis nahm. Aber sie zeigte mir die kalte Schulter und fixierte ihren Blick auf die Landschaft, die vor dem Seitenfenster des Busses vorbeiflog. Nur kein Blickkontakt. Die Taktik kannte ich. Die benutzte ich selbst oft genug, wenn Richard und ich wieder einmal in einem unserer Beziehungsgrabenkämpfe steckten. Das war zermürbender als unter Beschuss zu stehen. Eine Taktik für Sadisten.
Überhaupt. Richard.
»Richard hat sich heute noch gar nicht gemeldet.«
»Das ist doch gut. Ist ja schließlich Urlaub.« Betty drehte sich im Fahren eine Zigarette. Mir kam die Idee, ihr ein T -Shirt mit dem Spruch drucken zu lassen. Der passte anscheinend immer.
»Ich mein ja nur. Als er gestern angerufen hat, war die große Hannes-Krise zu Hause ausgebrochen …«
»Sag den Namen nicht«, murmelte Betty.
»Ich werd hier eh ignoriert«, sagte ich und hoffte, dass Lucy es gehört hatte. Um es mir bequemer zu machen, legte ich meine Füße auf das Armaturenbrett und verschränkte die Arme über dem Bauch. »Ich hätte einfach gedacht, dass er sich heute noch einmal meldet, mit einem Update.«
»Wahrscheinlich ist alles wieder in Ordnung. Katastrophe abgewendet, ein paar Schnaps draufgeschüttet … Anstatt dir jetzt darüber den Kopf zu zerbrechen, könntest du dich lieber nützlich machen und mir das Feuerzeug geben.« Das tat ich. »Und jetzt schaust du in die Karte und sagst mir, wo wir als Nächstes hinfahren. Wir wollen ja schließlich etwas erleben.«
»Ach! Jetzt darf ich plötzlich die Route aussuchen?«
»Nicht die Route, nur das nächste Ziel. Und im Süden muss es sein, nä?«
»Wie wär’s mit Paris?«
»Spacken.«
Hinter uns räusperte sich Karol, der Pole, der zwischen der schmollenden Lucy und dem schnarchenden Viktor auf der Rückbank saß. »Ich mach ein Vorschlag, ja? Darf ich?«
Ich drehte mich um, und so musste Lucy sich fast den Hals verrenken, damit sie mich bloß nicht anzusehen brauchte. Es war einfach nur albern. »Lucy, es tut mir doch leid.«
»Ts!«, machte sie und stützte ihr Kinn auf der Hand auf.
»Vorschlag?«, fragte Karol wieder, und ich zuckte mit den Schultern.
»Von mir aus.«
»Arcachon ist gut.« Der Bus war erfüllt von dem typischen Rauschen und Brummen eines alten, klapprigen Fahrzeugs in Bewegung, und irgendwo unter dem Geräuschteppich taten Take That ihr Bestes, um Gehör zu finden. Karol hingegen schien gesagt zu haben, was er zu sagen hatte. Weitere Ausführungen waren nicht geplant.
Also hakte ich nach.
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