Im Zweifel suedwaerts
würden. Ich war mir nicht einmal sicher, ob wir zusammenbleiben sollten, oder ob ich mir nur etwas vormachte, wenn ich mir sagte, dass er der Mann für mich war und den ganzen Ärger wert. Natürlich hatten wir schöne Momente, aber die wurden weniger, natürlich war ich gern in seiner Nähe, aber Nähe hatte es in letzter Zeit kaum gegeben. Und auch jetzt war Richard nicht hier. Und das war kein Problem. Im Gegenteil: Es ging mir gut damit. Ich vermisste ihn nicht. Kein bisschen. Nicht ein Stück.
Betty war vor mir auf dem Dünenkamm angekommen und stand dort stolz wie der erste Mensch auf dem Mond. Es fehlte nur die Fahne, die sie in den Sand rammen konnte. Da es sich bei der Dune du Pyla aber um ein Naturschutzgebiet handelte, war ich mir nicht sicher, ob das überhaupt gestattet gewesen wäre. Und ohne Fahne ging es ja auch.
»Beweg deinen Arsch, Schätzelein. Die Sonne wartet nicht auf dich.«
»Ach«, keuchte ich zu ihr hinauf, »die kommt morgen wieder.«
»Aber dann sind wir schon wieder ganz woanders. Wir machen es wie die Wanderdüne.« Betty ließ sich in den Sand fallen, und ich setzte mich, als ich endlich oben angekommen war, keuchend neben sie. »Kann es eigentlich sein, dass die Düne mit uns wegwandert, während wir hier sitzen?«, fragte sie mich nach einer Weile.
»Ich glaube, die wandert so langsam, da müssen wir uns keine Sorgen machen.«
»Gut.« Betty zog den Rucksack zwischen ihre Beine und holte zwei Tortenstücke heraus. »Ich hab nämlich keine Taschenlampe dabei, das macht den Rückweg eh schon schwer genug. Und wenn wir dann auch noch kilometerweit abgewandert werden, kann ich für nichts garantieren.«
Ich lachte und beobachtete die Polen, die etwas weiter weg den Sand hinunter Richtung Atlantik rutschten. »Wie lang wollen wir die beiden eigentlich noch mitnehmen?«
Betty zuckte mit den Schultern. »Von mir aus können wir sie morgen irgendwo absetzen. Ich hatte ja gedacht, dass ich mit dem einen oder anderen vielleicht ein bisschen Spaß haben könnte, aber dann hat Lucinda sich den Guten einfach unter den Nagel gerissen.«
Ich schnappte in gespieltem Entsetzen nach Luft. »Aber Betty! Die sind doch viel zu jung!«
»Zu jung für was, Schätzelein?« Ich schüttelte amüsiert den Kopf, und Betty zog ihr Handy aus der Hosentasche. »Apropos, ich ruf mal meinen Sohn an und erzähl ihm, dass ich gerade in der größten Sandkiste Europas sitze. Der wird platzen vor Neid.«
Und während sie Mo anrief und sich an Max weiterreichen ließ, legte ich uns die Decke über die Schultern und sah der Sonne dabei zu, wie sie orange und rot und groß im Atlantik versank. Es war ein Moment für Romantiker: Händchenhalten, andächtige Stille und dann am Ende ein gehauchter Liebesschwur. Ich saß hier allein. Und genoss es trotzdem.
Erst dachte ich, in den Wäldern rund um die Dune du Pyla gäbe es Wölfe. Betty und ich befanden uns auf dem Weg zurück zum Bus, mit nichts als dem Mond als Lichtquelle, als das Heulen begann. Leidvoll und lang gezogen, und ich griff erschrocken nach der Hand meiner Freundin und hoffte, dass sie wusste, was zu tun war, wenn man einer riesigen, haarigen Bestie mit gefletschten Fangzähnen auf unbekanntem Terrain gegenüberstand. Sich flach auf den Boden legen? Auf einen Baum klettern? Rennen?
Ich bin noch nie auf einen Baum geklettert, dachte ich panisch und fasste Bettys Hand ein wenig fester, bis sie stehenblieb, um erst unsere verschlungenen Finger und dann mich irritiert anzusehen.
»Gibt es einen Grund dafür, dass du mir das Blut in meiner linken Hand abklemmst?«
»Wolf«, flüsterte ich, und das Heulen setzte erneut ein, wie in einem sehr schlechten Film über zwei junge Frauen, die sich in einem nächtlichen Wald verlaufen und von Wölfen überfallen werden. Ich hielt den Atem an. Betty horchte in die Nacht.
»Das ist kein Wolf, Schätzelein«, bestimmte sie schließlich und versuchte, meinen Griff abzuschütteln.
Aber ich war noch nicht bereit, wieder allein auf mich gestellt zu sein. »Was soll das denn bitte sonst sein?«, flüsterte ich panisch.
Sie zuckte mit den Schultern. »Weiß nicht. Irgendein Vogel?« Plötzlich weiteten sich ihre Augen vor Schreck. Sie zog scharf die Luft ein und griff auch noch nach meiner anderen Hand, die sie so fest drückte, dass ich zu verstehen begann, was sie mit dem Blutabklemmen gemeint hatte. »Oh, oder es ist ein Geist.« Mit ängstlichem Blick suchte sie die Wipfel der Bäume ab und begann zu zittern.
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