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Im Zweifel suedwaerts

Im Zweifel suedwaerts

Titel: Im Zweifel suedwaerts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katarina Fischer
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»Ganz bestimmt, das ist es! Der Geist eines irren Massenmörders, der vor zwanzig Jahren hier in der Gegend Hunderte von Frauen umgebracht und zerstückelt hat.« Ich wimmerte. »Er hat sie in den Wald gelockt«, flüsterte sie hastig, »und dann hat er sie mit dem Heulen so lang durch die Nacht getrieben, bis er sie in einen Hinterhalt locken konnte. Jagen, Fangen, Ragout draus machen.«
    »Betty, hör auf!«
    »Nein, du musst die Wahrheit erfahren, Schätzelein. Falls er mich fängt und du ohne mich ums Überleben kämpfen musst.«
    »Waaahhh!« Ich war kurz davor, vor Angst zu weinen.
    »Am schlimmsten war die Methode, mit der er die Frauen gefangen hat«, fuhr sie fort. »Es war unglaublich grausam … Soll ich es dir erzählen? Ach, was heißt, soll … Ich muss es dir erzählen, du musst alles wissen. Jedes widerliche kleine Detail.«
    »Ich will aber nicht«, quetschte ich aus meiner zugeschnürten Kehle.
    »Zu spät. Es gibt kein Zurück mehr, und jetzt hör mir genau zu: Er hat Ihnen eine Falle gestellt. Aber es war keine gewöhnliche Falle, kein Fallstrick und kein Loch im Boden, sondern …« Betty machte einen kleinen Schritt auf mich zu, sodass ihre Nase fast meine berührte. Sie holte tief Luft und sagte mit Grabesstimme: »… eine Sexfalle.«
    Im nächsten Moment waren die Nacht und der Wald an der Dune du Pyla erfüllt von Bettys schallendem Gelächter. Ich lachte nicht, mein Herz klopfte mir in den Ohren, zwei Tränen des Horrors rollten mir links und rechts die Wangen herunter, und ich war derartig empört darüber, dass Betty mir solche Angst gemacht hatte, dass ich mich nicht einmal mehr vor dem mutmaßlichen Wolfsgeheul fürchten konnte, das wieder in der Luft lag. »Du bist echt eine dumme Scheißkuh«, murmelte ich. »Ich hätte mir deinetwegen fast in die Hose gemacht.«
    »Ach, Schätzelein«, sie legte mir einen versöhnlichen Arm um die Schulter, »sei doch froh. Ohne mich hättest du dir bei dem Versuch, auf der Flucht vor dem bösen Wolf auf einen dieser Bäume hier zu klettern, beide Arme und Beine gebrochen.«
    »Soll mich das jetzt aufheitern oder was?«
    »Klar. Oder hättest du gern gebrochene Arme und Beine?«
    »Was ist das denn bitte für eine dumme Frage?«
    »Eben.«
    Die Quelle des »Wolfsgeheuls« war gleichzeitig das Ziel unserer Wanderung. Der gelbe VW -Bus auf dem Parkplatz. Das hätte Stoff für weitere schlimme Befürchtungen und Horrorgeschichten liefern können, aber damit war ich fertig und hatte außerdem die größte Wanderdüne Europas bestiegen (Jogging-Moment der Erleuchtung), also dachte ich zur Abwechslung mal klar und logisch und kam zu dem Schluss: »Lucy!«
    Ich lief die letzten paar Meter bis zur Schiebetür, riss sie auf und entdeckte sofort das Häuflein Elend auf der hinteren Ecke der Matratze, die Knie an den wuchtigen Körper gezogen, der bei jedem Heulen und Seufzen bebte. Ihr Kopf war gesenkt, ihr Gesicht bläulich illuminiert von dem Handydisplay in ihrer Hand.
    »Lucy«, sagte ich noch einmal mit einer möglichst sanften Stimme, krabbelte über unser Bett zu ihr in die Ecke und umarmte ihren Kopf, alle anderen Teile ihres Körpers waren einfach zu kompakt umeinander geschlungen, da war kein Rankommen. Ihre Haare, ihr Gesicht, sogar ihre Ohren – alles war klatschnass. In meinen Armen wurden unverständliche Schluchzer geschluchzt.
    »Hm? Was?«, flüsterte ich.
    Mehr unverständliche Schluchzer.
    »Lucy, ich kann dich nicht verstehen. Hol mal ordentlich Luft, ja?«
    Sie holte Luft. Dann schluchzte sie etwas Unverständliches.
    »Lucinda! Mensch!« Betty kletterte lachend durch die offene Schiebetür in den Bus und zog sie mit einem Rumms zu. »Du hast unserer lieben Daphne einen Mörderschreck eingejagt. Die hat sich eingenässt vor Angst.«
    Ich warf ihr einen genervten Blick zu. »Fast, Betty, ich hätte mich fast eingenässt.«
    »Wie dem auch sei, mal was ganz anderes: Ihr müsst immer die Fenster und Türen schließen, sonst fressen uns die Mücken.«
    »Also, ich finde, wir haben im Moment wirklich andere Sorgen.«
    »Das sagst du jetzt. Aber warte mal, bis du heute Nacht kein Auge zumachen kannst, weil diese Mistviecher dir um den Kopf surren und dein Blut trinken wollen.« Noch ein Blick von mir, quasi als letzte Verwarnung. »Was ist denn hier überhaupt los?«
    Lucy befreite ihren Kopf und sah an mir vorbei Betty an. Dann schluchzte sie etwas, das nicht zu verstehen war.
    »Hä?«, machte Betty.
    »Betty, willst du vielleicht mal nach

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