Im Zweifel suedwaerts
auch einer Frau namens Madame Elvira, die in einem Holzwagen auf dem Jahrmarkt wohnte, die Hälfte seines Einkommens, damit sie so tat, als würde sie die Zukunft in einer ausrangierten IKEA -Lampe lesen. Wer so etwas tat, war ein Idiot. Und ich war kein Idiot. Ich war stocksteif vor Angst.
»Soll das ein Witz sein?!«, fragte ich ihn entsetzt.
»Ich dachte, du freust dich.« Richard war sichtlich enttäuscht über meine Reaktion. Er legte seine Gabel mit dem Currywurststückchen am Rand seines Tellers ab.
Er hatte mir den Zusammenzieh-Vorschlag in der Kleinen Pause gemacht, unserem Stammimbiss. Seinem Gesicht nach zu urteilen, war er fest davon ausgegangen, dass ich begeistert »Ja!« schreien und ihm vor Rührung lachend oder weinend um den Hals fallen würde, wie es die Frauen im Fernsehen immer taten, wenn ihre Männer ihnen mit einer romantischen Überraschung im Supermarkt (oder im Affenhaus, je nach Situation und Beziehung) ihre Liebe beweisen wollten. Ich hingegen kämpfte gegen eine aufsteigende Übelkeit an und stellte mir vor, wie mein Freund und ich unglücklich in unserer Wohnung saßen, uns nichts mehr zu sagen hatten und uns nach drei Wochen trennten. Wenn jetzt die Tränen kamen, dann nicht vor Rührung, so viel stand fest.
»Ich freu mich ja«, sagte ich tonlos und überhaupt nicht erfreut.
»Als du dich das letzte Mal gefreut hast, sah das irgendwie anders aus.«
»Jaaa …«, machte ich gedehnt, um Zeit zu gewinnen, und überlegte, wie ich am besten aus der Nummer rauskam, ohne meinen Freund vor den Kopf zu stoßen oder den größten Fehler meines Lebens zu begehen – was auch gut und gern dasselbe sein konnte.
Ich war verwirrt und nahm einen Schluck Capri-Sonne. »Das kommt mir jetzt irgendwie vor wie ein Heiratsantrag.« Der in meiner Vorstellung immer weitaus eindrucksvoller abgelaufen war. Und nie in der Kleinen Pause. »Das ist so groß. Alles.«
»Aber ich will dich nicht heiraten. Also …« Richard lachte unsicher. »… jedenfalls noch nicht.«
»Ob wir jetzt zusammenziehen und heiraten oder nur zusammenziehen, das läuft doch aufs Gleiche hinaus.«
»Erst willst du keine gemeinsame Wohnung, und jetzt soll ich dich gleich heiraten?«
»Nein, sollst du nicht. Und ich habe auch gar nicht ge sagt, dass ich keine gemeinsame Wohnung will. Ich bin einfach nur nicht vor Begeisterung in die Luft gesprungen. Was ist so schlimm daran?« Der Versuch, dieser Situation zu entkommen, ging nur sehr schleppend voran. Es war zum Verzweifeln.
»Komm, Daphne, das merkt doch ein Idiot, dass du nicht willst. Sonst hättest du doch sofort ›Ja!‹ geschrien und wärst mir um den Hals gefallen und hättest gelacht oder geheult oder so.«
Wie ich es mir gedacht hatte. »Du guckst schon ziemlich viel Fernsehen, oder?«
»Wie kommst du denn jetzt darauf?«
Ich winkte ab. »Na, vielleicht muss man ja auch erst mal darüber nachdenken, wenn man mit so was nicht gerechnet hat und noch nie mit jemandem zusammengewohnt hat und wenn man findet, dass es ein großer Schritt ist.«
Richard grinste. »Ist leichter, über solche Sachen in der dritten Person zu reden, was?«
Ich grinste zurück. »Auf jeden Fall.« Draußen begann es, zu regnen. Die Frau hinter dem Tresen kam an unseren Tisch und zündete eine Kerze an. So was gab es nicht oft in der Kleinen Pause, einem Ort, an dem schmutzabweisende Resopaltische und schlichte Barhocker das richtige Ambiente für Bundesliga-Live-Übertragungen bildeten. Eigentlich waren Kerzen unnötiger Schnickschnack, den niemand brauchte, der bloß sein halbes Hähnchen zum Mitnehmen abholen wollte. Aber heute gab es Kerzen. Vielleicht war es ein Zeichen.
»Wow, Kerzenlicht«, bemerkte auch mein Freund.
»Und was ist, wenn wir uns nicht verstehen?«, fuhr ich fort und ignorierte die romantische Beleuchtung. »Wenn wir nicht zusammenleben können, weil du immer die ganze Milch wegtrinkst und ich meine Haare überall verliere und du mitten in der Nacht Spiegeleier braten willst oder nie die Sofakissen aufschüttelst und ich immer die Stecker von allen Geräten rausziehe, weil ich Strom sparen will …«
»Du ziehst die Stecker immer raus?«
»Ja.«
»Das klingt schrecklich anstrengend.«
»Siehst du.« Ich verschränkte die Arme und sah der Kerze beim Flackern zu. »Und dann trennen wir uns, und ich sitze auf der Straße.«
Richard schob seine Hand über den Tisch und wühlte so lange in dem Armknoten herum, bis er eine Hand zu fassen bekam und herauszog. »Also
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