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Im Zweifel suedwaerts

Im Zweifel suedwaerts

Titel: Im Zweifel suedwaerts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katarina Fischer
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etwas zu sagen, so wie sie guckte.
    »›Er wollte mich nicht‹«, äffte sie Lucys Jammern nach, und ich verfluchte die Tatsache, dass sie bei dem Gespräch letzte Nacht nicht dabei gewesen war. Dann hätte sie jetzt sicherlich etwas feinfühliger reagiert. Auf der anderen Seite war ich mir da bei Betty gar nicht so sicher. Sie war nicht der Typ, der irgendjemanden mit Samthandschuhen anfasste. Eher noch glaubte sie an die heilende Kraft der Normalität und der Konfrontation und wäre ganz bestimmt der Meinung gewesen, dass wir jetzt auch nicht damit anzufangen brauchten, Lucy mit Samthandschuhen anzufassen, da wir das bisher ja auch nicht getan hatten. All das war aber nur Spekulation. Hier und jetzt hatte Betty keine Ahnung und war ohnehin zu gereizt, um sich zusammenzureißen. »Was seid ihr eigentlich für Frauen?«, fuhr sie uns an. »Ihr wartet immer nur darauf, dass euch irgendwelche Spacken ›aussuchen‹, als wärt ihr zwei verbeulte Raviolidosen im Supermarktregal, die sowieso keine Chance darauf haben, gekauft zu werden. Ihr seid nicht verbeult, und es gibt keinen Grund zu warten. Kapiert endlich, dass ihr auch eine Wahl habt, ihr Memmen. Dann geht’s euch besser. Verdammt noch mal!« Sie drehte sich wieder zum Lenkrad um. »Daphne? Beifahrersitz. Lucinda? Anschnallen.«
    Lucy zog verschreckt die Nase hoch. »Hier hinten gibt’s keinen Gurt …«
    »Mir egal. Wir fahren jetzt. Ist ja schließlich Urlaub, oder?« Sie ließ den Motor an und drehte die Musik bis zum Anschlag auf.
    Ich krabbelte, so schnell ich konnte, über die Vorratsbox nach vorn, während der Bus sich schon in Bewegung setzte. Betty meinte es ernst. Urlaub oder Tod. Jetzt!
    Bis wir die Stadtgrenze von Biarritz erreicht hatten, sagte keine von uns ein Wort. Das lag daran, dass Bettys Mixtape noch immer in einer höllischen Lautstärke aus den Boxen drang, vermutlich das einzige Ventil, das sie auf die Schnelle für ihre Wut hatte finden können. Die Situation wirkte jedoch eher komisch bis absurd, weil es der Reggae-Musik, die den Bus erfüllte, irgendwie an der nötigen Aggression fehlte. Und das passte nicht dazu, wie Betty verkrampft das Lenkrad umfasste, verbissen auf die Straße starrte und das Gaspedal trat, als hätte sie ein persönliches Problem damit. Trotzdem beschloss ich, dass es schlauer war, jetzt nicht zu lachen. Oder auch nur zu sprechen. Weshalb ich selbst dann die Klappe hielt, als ich glaubte, Karol und Viktor winkend an einer Straßenecke erkannt zu haben. Lucy sagte ebenfalls nichts. Wahrscheinlich hatte sie sie nicht gesehen.
    Wenig später ließen wir Biarritz hinter uns, und ein kleines Wunder geschah: Der graue Himmel riss auf, und die Sonne schien hell und warm auf uns herunter, als hätte sie seit Tagen nichts anderes gemacht, als würde sie unschuldig auf uns herunterblicken und sagen: »Ich versteh euer Problem gar nicht, ich war schon die ganze Zeit hier.« Auf einen Schlag konnte ich mich nicht mehr daran erinnern, wie schlechtes Wetter aussah oder sich anfühlte. Bettys Hände entspannten sich, das Weiß an ihren Knöcheln verschwand, und sie lehnte sich vor, um die Musik leiser zu stellen. Grund genug für mich, aus lauter Freude über den unverhofften Sonnenschein eine kleine Portion klimawissenschaftliches Halbwissen im Bus zu verbreiten: »Wahrscheinlich liegt Biarritz an einem Schlechtwetterpunkt. Dort ist der Himmel dann meistens grau, und es regnet viel, und fünf Kilometer weiter ist das dann auch schon wieder vorbei. Echt, so was gibt es!«
    »Sagt wer?«, fragte Betty, noch immer latent übellaunig, aber mit einem versöhnlichen Tonfall in der Stimme.
    »Ähm …«, machte ich, und aus Ermangelung einer vernünftigen Antwort fuhr ich meinen Arm aus und zeigte aufgeregt auf einen Punkt schräg rechts vor uns. »Wow! Eine Palme!«
    »Ich werd verrückt«, war Bettys trockener Kommentar dazu. Dass sie versuchte, ein Lächeln zu unterdrücken, sah ich trotzdem.
    In San Sebastian (das eigentlich eher westlich als südlich von Biarritz lag, aber das sahen wir nicht so eng) unterbrachen wir unsere Fahrt für ein Mittagessen und Kaffee – Betty: »Endlich!« –, mischten uns unter die schönen, braun gebrannten Menschen am Stadtstrand und hielten unsere Beine ins Wasser, bevor wir unter lautem Hupen die Stadt wieder verließen und uns auf die Suche nach dem sonnigen Strand machten, den ich Lucy versprochen hatte. Sie wirkte noch immer ein wenig melancholisch, aber bei Weitem nicht so betrübt wie

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