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Im Zweifel suedwaerts

Im Zweifel suedwaerts

Titel: Im Zweifel suedwaerts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katarina Fischer
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auf, weil die Sonne den Bus bereits beachtlich aufgeheizt hatte und es nicht sehr angenehm war, dicht an dicht wie die Sardinen in der Blechbüchse auf der Matratze zu liegen und aneinanderzukleben. Den Rest gab uns dann das Geräusch, das Marco machte, als er sich in das Gebüsch neben seinem Van übergab.
    »Das war dann wohl die Torte«, bemerkte ich schläfrig. »Armer Kerl.«
    Betty setzte sich auf und begann sofort, sich ihr Bikinioberteil anzuschnallen. »Mach dir keine Vorwürfe, Schätzelein, du hast ihn ja schließlich über alle Risiken aufgeklärt.«
    Lucy machte unter der Decke ein glucksendes Geräusch. Entweder lachte sie, oder sie war kurz davor, sich ebenfalls zu übergeben.
    Als wir strandfertig aus unserem Bus stiegen, saß Marco auf einem Klappstuhl im Schatten des Vordachs seines Campers und sah in etwa so grün aus wie einst die Marzipandecke der Torte.
    Betty winkte ihm zu. »Na, Marco? Alles klar?«
    Er winkte zurück, oder er winkte ab, sagen konnte er jedenfalls nichts. Und nur einen Moment später sprang er von seinem Stuhl auf, ging vor dem Busch in die Knie und, nun ja …
    »Tut uns leid!«, rief Lucy und flüsterte hinter vorgehaltener Hand: »Gut, dass wir ihm die Torte gegeben haben. Stellt euch vor, wir hätten die gegessen. Dann würden wir jetzt ins Gebüsch kotzen und nicht er.«
    Betty legte ihr einen Arm um die Schulter. »Du bist ein guter Mensch, Lucinda. Wirklich.«
    Die nächsten zwei Tage blieben wir weitestgehend unbehelligt von anderen Menschen. Auf dem kleinen Parkplatz mit den Holzmarkisen, die absolut lebensnotwendigen Schatten spendeten und unter denen auch unser Bus stand, war noch Platz für vier weitere Fahrzeuge. Eins davon war Marcos Camper, die drei anderen wechselten, gehörten aber immer Surfern, die, gut gebaut und braun gebrannt, ihre Bretter über den breiten Strand zum Wasser trugen und dort den Tag verbrachten. Betty war jeden Morgen pünktlich zur Stelle um diese Wanderung mit entrücktem Gesicht zu betrachten, als handelte es sich dabei um ein großes, seltenes Naturschauspiel. Sie versuchte sogar, sich einen Feldstecher von Marco zu leihen, aber der besaß so etwas leider nicht.
    Abends wurde auf dem Parkplatz gegrillt und Bier getrunken, ansonsten war nicht viel los auf diesem abgeschiedenen Flecken Erde. Der Strand lag geografisch an der Nordküste Spaniens, inmitten von kargen Hügeln, vertrockneten, brach liegenden Feldern und wilden Wiesen. In der unmittelbaren Umgebung gab es nichts außer ein paar verfallenen Zweizimmerhäuschen, einer Kuhweide und einem Bauernhof, auf dem ein Esel, ein Hahn und mehrere Hühner wohnten. Außerdem lebte dort ein wütender weißer Schäferhund, der uns immer ankläffte und mit seinem ganzen Gewicht an der Kette zog, wenn wir auf dem Weg ins nahe gelegene Dorf den sandigen Trampelpfad entlangspazierten, der an seinem Territorium vorbeiführte. Die einzigen Geräusche, die in der warmen, sauberen Spätsommerluft lagen, waren somit vereinzeltes Muhen, Gackern, Krähen und Bellen, das Rauschen der Wellen, das Zirpen der Grillen und manchmal ein einsames I-Ah. Hätte während unseres Aufenthalts die Apokalypse eingesetzt – wir wären dort, in unserem Niemandsland, mit großer Wahrscheinlichkeit glatt von ihr übersehen worden.
    Es war perfekt.
    Wir genossen unseren Urlaub, lagen in der Sonne, plantschten im Meer, spielten Beach Ball, aßen Nudeln und rauchten Joints. Betty und ich zumindest und, nachdem er sich von seiner Lebensmittelvergiftung erholt hatte, auch Marco.
    Lucy stand dem Kiffen erwartungsgemäß kritisch gegenüber, aber sie fand ihren ganz eigenen Weg, sich zu entspannen, indem sie eines Nachmittags ihr Malen-nach-Zahlen-Set aus dem Koffer zog und mit höchster Konzentration nach und nach das Bild eines Einhorns im Zauberwald produzierte. Das fertige Gemälde brachte sie mit viel Klebeband im Bus über der Matratze an und war sehr stolz auf ihr Werk, bis Marco bemerkte, dass der Konsum von Marihuana und das sehr psychedelisch anmutende Motiv sich eigentlich ganz gut ergänzten. Daraufhin war Lucy nicht mehr stolz, sondern schockiert. Und das zum zweiten Mal an diesem Tag, nachdem sie gerade erst den skandalösen Vorfall vom Morgen einigermaßen verdaut hatte.
    Lucy und ich waren gleich nach dem Aufstehen ins Dorf gewandert, um Frühstück einzukaufen. Das Dorf bestand lediglich aus einer langen Straße, die in der Sonne flimmerte, die Häuser links und rechts davon waren neuerer Bauart, zwei- bis

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