Im Zweifel suedwaerts
bei unserer Abfahrt. Als irgendwann kurz vor Bilbao ihr Mixtape an der Reihe war, sang sie aus vollem Hals »Baila me« von den Gipsy Kings mit. Dass sie kein Wort Spanisch sprach und sich mit irgendeinem haarsträubendem Kauderwelsch aus Vokalen und Konsonanten behelfen musste, machte ihr nichts aus und führte bei Betty zu einem heftigen Lachanfall, der uns fast einen Abhang hinunter befördert hätte.
Irgendwann fuhr Betty einfach in nördlicher Richtung von der Autobahn ab. Laut Karte lag dort das Meer, und sie hatte ein gutes Gefühl bei dieser einen speziellen Ausfahrt. »Du nicht, Schätzelein?«, fragte sie mich, aber mir war alles recht.
Außerdem war ich gerade abgelenkt, weil ich damit beschäftigt war, mein Handy abzuschalten – die Leitung nach Hamburg und somit auch zu Richard zu kappen. Ich hatte einen wirklich schönen Tag mit meinen Freundinnen gehabt, vielleicht den ersten wirklich schönen Tag dieses Urlaubs, und ich hatte nicht vor, meine gute Stimmung durch ein weiteres, ernüchterndes Telefonat am Abend trüben zu lassen. Und dem aus dem Weg zu gehen war leicht. Ein Knopfdruck, mehr brauchte es nicht, und plötzlich fühlte es sich an, als hätte ich ein großes Problem gelöst. Ein trügerisches Gefühl, das wusste ich, aber ich fand, dass ich mir diese Auszeit verdient hatte. Betty war da sicher auch auf meiner Seite. Es war ja schließlich Urlaub.
Wir fanden unseren Strand im letzten Tageslicht. Er lag ziemlich genau mitten im Nirgendwo und war eher lang als breit. Bis zum Wasser musste man einige Hundert Meter über den sonnengewärmten Sand laufen, bis man eine kleine, von hohen Felsen umgebene Bucht erreichte. In der Luft lag das Rauschen des Meeres und das Zirpen der Grillen, die in den Dünen, Hügeln und Büschen saßen, und unsere Nasen umwehte der köstliche Geruch der gebratenen Würstchen, die sich einige Meter weiter ein paar Jungs zubereiteten, die auf Campingstühlen vor ihrem alten, rostigen Wohnwagen saßen, an dessen Seite mehrere Surfboards lehnten. Abgesehen von diesem und unserem eigenen Bus, befand sich auf dem winzigen Parkplatz nur noch ein weiteres Fahrzeug. Ein beigefarbener Van.
Seinen Besitzer lernten wir wenig später kennen. Inspiriert von dem Duft von gebratenem Fleisch war Betty gerade dabei, eine großzügige Ladung Speck in die Pfanne zu werfen, als er zu uns an den Bus kam und sich vorstellte. Als gute Nachbarn boten wir ihm selbstverständlich an, einen Teller Nudeln mit Speck mitzuessen, aber er lehnte ab. Er hatte erst eine Stunde zuvor allein eine ganze Packung Spaghetti mit Käse gegessen. Allerdings zeigte er großes Interesse an dem letzten Stück Torte, das ich eigentlich gerade hatte entsorgen wollen, aber er ließ mich nicht. Er bestand darauf, es zu essen, trotz meiner Warnung, dass der Kuchen nun schon seit einigen Tagen ungekühlt in unserer Vorratsbox lag und eventuell nicht mehr genießbar sein würde. Dass das Marzipan möglicherweise nicht mehr nur dank eines ordentlichen Schusses Lebensmittelfarbe grün aussah. Aber er sagte, er hätte schon seit Tagen unbändige Lust auf etwas Süßes, aber leider nichts an Bord. Und er behauptete, einen starken Magen zu haben. Also wollte ich seinem Glück nicht im Weg stehen, gab ihm die Torte und sah mit teils skeptischem, teils angewidertem Gesichtsausdruck dabei zu, wie er sich genüsslich seinen riskanten Nachtisch einverleibte.
Und so lernten wir Marco kennen. Abgesehen von seinem enormen Appetit fiel er außerdem noch durch sein Aussehen auf. Er war groß und breit, hatte lange schwarze Haare und einen Bierbauch unter seinem AC/DC-T -Shirt. Er kam aus Hessen, was man ihm zwar nicht ansah, aber deutlich hören konnte. Er war kein Surfer, offensichtlich, nicht auf der Suche nach den besten Spots und den höchsten Wellen. Er hatte kein Ziel. Er war allein. Er war Reisender. Wie Sky, der Besitzer unseres Busses, war auch Marco in seinem fahrbaren Zuhause viel glücklicher als in vier Wänden aus Stein. Er brauchte nur seine Gitarre, ein paar gute Tapes, und schon war er unterwegs.
»Warum hab ich meine Gitarre eigentlich nicht dabei, Schätzelein?«, fragte mich Betty, als das Gespräch auf das Thema kam.
»Du hast sie vergessen.«
»Solltest du mich nicht erinnern?«
»Ja. Hab ich vergessen.«
»Tja. Was will man machen?« Sie hob resignierend die Hände. »Ist ja schließlich Urlaub, nä?« Und dann baute sie einen Urlaubsjoint, den ersten der Reise.
Am folgenden Morgen standen wir früh
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