Im Zweifel suedwaerts
zupfte an den vertrockneten spärlichen Grashalmen neben meinen Füßen. Mein Blick wanderte über die Ebene, auf der wir uns befanden. Um uns herum gab es nichts, keine Häuser, keine Bäume oder nicht einmal Schatten. Bloß den Bus und den Van, die Wiese, auf der wir saßen, Felder und Weiden und viel, viel Himmel. Wir waren weit oben auf dem Berg, über allem. Ein gutes Gefühl – ein bisschen mehr Heidi vielleicht, als ich es in diesem Urlaub erwartet hatte, aber an diesem Urlaub war ja schließlich so einiges anders, als ich es erwartet hatte. Langsam gewöhnte ich mich irgendwie daran.
Betty pustete in ihren Becher und hielt mir den Joint hin, aber ich schüttelte den Kopf. Ich hatte ja noch nicht einmal gefrühstückt.
»Du kannst dich auf meinen Stuhl setzten.« Marco erhob sich und machte eine einladende Bewegung. »Ich kümmer mich um euren Bus.«
Ich sah dankbar zu ihm hoch. »Dich hat echt der Himmel geschickt, Marco. Wir haben zwar nicht viel … also eigentlich gar nichts, aber wenn du dafür irgendeine Form von Bezahlung willst …«
»Mach dich nicht lächerlich.« Er grinste, holte seinen Werkzeugkoffer aus dem Van, schlenderte zu unserem Bus hinüber … und zog sich unterwegs ganz beiläufig und zu meiner großen Überraschung sein T -Shirt aus.
Eigentlich war der Anblick nicht wirklich das, was man gewöhnlich als schön oder sexy bezeichnete. Marco hatte nun einmal einen sehr massigen Körper. Und viele Haare, die überall auf diesem Körper wuchsen. Trotzdem musste ich einfach hinsehen. »Warum macht er das?«, fragte ich Betty, ohne den Blick abzuwenden.
Sie schmunzelte und nahm einen Zug.
»Für dich, oder?« Ich hatte es ja gewusst! »Er hat diesen kleinen Striptease für dich eingelegt.«
Ausatmen, ein Schluck Kaffee. »Schätzelein, ich glaube, ihm ist einfach heiß.«
»Vielleicht. Vielleicht machen die das in Hessen aber auch einfach so, wenn sie zeigen wollen, dass sie Interesse haben. So nach dem Motto: Ich zeig dir meins, zeig mir deins. Das würde dir doch auch ganz gut passen, oder?« Ich tat, als betrachtete ich intensiv meine Fingernägel. Dabei war ich hoch konzentriert damit beschäftigt, jede Reaktion von Betty wahrzunehmen und sofort zu analysieren. »Schließlich hattest du dir ja vorgenommen, im Urlaub ein bisschen Spaß zu haben …« Ich drehte meinen Kopf zur Seite und sah direkt in Bettys amüsiertes Gesicht.
»Schätzelein, Marco ist nicht gerade das, woran ich dachte, als ich sagte, dass ich etwas Spaß haben will«, lachte sie.
»Ja, aber warum denn nicht? Der ist doch …« Unsere Blicke wanderten hinüber zu dem pummeligen Indianer mit dem T -Shirt-Teint, der sich den behaarten Bauch kratzte und über ein Kfz-technisches Problem nachzudenken schien. »Na ja, er ist sehr hilfsbereit. Und witzig.«
»Tja. Da hat sie recht.« Betty nickte zustimmend. »Nur leider ist das für die Art von Spaß, an die ich dachte, gar nicht mal so wichtig.«
»Du bist ganz schön oberflächlich, Betty.«
»Nur beim Sex.«
»Ja, aber man soll doch beim Sex lachen. Das hab ich mal gelesen. Das ist gut für die Beziehung und die emotionale Verbindung, und für die Orgasmusfähigkeit ist das sicherlich auch auf irgendeine Art gut …«
Betty schien nicht überzeugt. Zu Recht. Ich fand das Argument ja selbst lahm. Außerdem war mir sowieso klar, dass es nicht dabei helfen würde, Marco Betty schmackhaft zu machen – auch wenn sie Orgasmen natürlich super fand. Trotzdem suchte sie sich ihre Männer nun einmal immer selbst aus, vom Verkuppeln hielt sie nichts. Und ich hatte in all den Jahren, die wir uns kannten, auch nie einen Versuch gestartet, sie mit einem Mann zusammenzubringen, egal wie gut er und Betty in meinen Augen zusammenpassten.
Das hier, allerdings, war ein Sonderfall, das spürte ich einfach. Irgendwas war zwischen diesen beiden. Eine Verbindung, die ich so noch in keiner von Bettys vorherigen Beziehungen bemerkt hatte. Nicht einmal zwischen ihr und Mo herrschten eine solche Harmonie und dieses wortlose Verständnis. Und dabei kannten sich Marco und Betty erst seit wenigen Tagen. Es war offensichtlich: Der Indianer aus Hessen und das Mädchen mit der alternativen Frisur waren füreinander bestimmt. Marco jedenfalls schien nur darauf zu warten, dem Ganzen eine Chance zu geben. Jetzt brauchte nur noch Betty einen Schubs in die richtige Richtung, und die Dinge würden ihren Lauf nehmen.
»Du kannst es ja einfach mal ausprobieren«, schlug ich etwas plump
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