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Im Zweifel suedwaerts

Im Zweifel suedwaerts

Titel: Im Zweifel suedwaerts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katarina Fischer
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vor.
    Betty lächelte. »Eher geh ich ins Kloster.«
    Ich seufzte. Das war kein ermutigender Zwischenstand. Aber wir hatten ja Zeit. Etwas zwickte mich ins Bein. Biss Nummer acht. »Wo ist eigentlich Lucy?«
    »Spazieren gegangen.«
    »Hoffentlich trifft sie nicht den Yeti und läuft wieder vor Schreck davon. Ich hab keine Lust, jeden Tag ein Suchkommando zu starten.«
    Der Joint knisterte. Es klingelte. Ja, wirklich. Das Geräusch war so ungewohnt, dass ich es erst gar nicht bemerkte. Dann dauerte es noch einen Moment, bis ich wahrnahm, dass ich gemeint war. Als ich endlich von dem Klappstuhl aufsprang und über die Wiese lief, hatte Marco seinen nackten Oberkörper schon unter dem Bus hervorgeschoben und rief: »Ey! Hier klingelt ’n Handy!«
    »Ich weiß!«, rief ich außer Atem im Vorbeirennen, riss die Beifahrertür auf und bekam das Telefon gerade noch rechtzeitig zu fassen.
    »Hallo?«
    Richard klang genervt. »Ich wollte gerade auflegen.«
    »Ich musste erst noch zum Bus laufen.« Ich atmete schwer, um den Wahrheitsgehalt zu unterstreichen.
    »Seit Tagen ist das Handy aus. Ich hab schon gedacht, dir ist was passiert.«
    »Ich hatte keinen Empfang. Der Bus ist liegen geblieben.« An dieser Stelle hätte ich besorgtes Nachfragen erwartet. Aber dazu hatte Richard wohl schon zu viel Wut aufgestaut.
    »Aha«, war das Einzige, was er sagte.
    »Ist das alles?«
    »Na ja, du hättest doch sicherlich irgendwo ein Münztelefon finden können, um dich zu melden. Wenn du gewollt hättest.«
    Ich war kurz davor, zu sagen, dass ich eben nicht gewollt hatte, nur war ich inzwischen schlau genug zu wissen, dass genau das die Sätze waren, die man später bereute. Später, wenn es zu spät war. »Tut mir leid.« Wobei ich es allerdings auch nicht belassen wollte. »Du kannst aber nicht einfach davon ausgehen, dass ich mich jeden Tag bei dir melde, Richard. Ich bin im Urlaub.«
    »Wir haben vor fünf Tagen das letzte Mal miteinander gesprochen.«
    »Vier.«
    »Oh, na dann ist es natürlich was anderes.«
    Ich kratzte an der Stelle mit dem frischen Stich, die inzwischen angefangen hatte, zu jucken wie blöd. »Wie geht’s dir so?«
    »Mir?«
    »Ja. Klar.« Als wäre das so eine abwegige Frage.
    »Alles normal. Wie immer.«
    »Und Hannes?«
    »Unverändert. Er redet ausschließlich über Lucy. Wir waren gestern Abend aus. So ein Mädel hat ihn angebaggert. Er hat sie sogar auf ein Bier eingeladen, worüber ich wirklich erleichtert war. Ich dachte, jetzt geht es endlich bergauf. Tja.«
    »Was, tja?«
    »Sie hat sich eine halbe Stunde lang sein Gelaber über Lucy angehört, und als er angefangen hat zu heulen, ist sie gegangen.«
    »Er hat geheult?«
    »Jep.«
    »Freitagnacht auf dem Kiez?«
    »Wenn man genauer darüber nachdenkt, ist das eigentlich gar nicht so außergewöhnlich, oder?«
    Das stimmte. Freitagabende auf dem Kiez boten oft genug Anlass, sich mal so richtig schön auszuweinen. Hannes tat mir trotzdem leid. »Der arme Hannes.« Plötzlich kam mir in den Sinn, dass wir während all unserer Telefonate bisher ausschließlich gestritten oder über Hannes gesprochen hatten. Oder wegen Hannes gestritten. Jedenfalls ging es immer nur um Hannes. Ich dachte an Ehepaare, die miteinander nur über ihre Kinder reden. Oder ihren Hund. Oder mit ihrem Hund, aber nicht miteinander. Hannes war unser Hund, im übertragenen Sinne. »Ist dir in den letzten Tagen nicht irgendetwas Aufregendes passiert?«, fragte ich Richard, und es war eigentlich mehr ein Flehen.
    »Nein, Daphne, hier geht alles seinen gewohnten Gang.«
    »Verstehe. Warum rufst du mich denn dann an?«
    »Weil ich fand, dass es nach fünf Tagen mal wieder Zeit wäre.«
    »Vier.«
    »Und?«
    Geht so, dachte ich. Das war das Ende.
    »Das ist das Ende«, stöhnte ich, und ließ mich neben Betty auf den zweiten Klappstuhl fallen. Er quietschte erschrocken.
    »War das Richard?«
    »Warum habe ich hier oben eigentlich Empfang?«, ignorierte ich ihre Frage. Betty zeigte auf die Funkmasten, die auf den Bergspitzen um uns herum standen. »Na toll.«
    »Was hat er denn gesagt?«
    »Nichts. Und ich hab auch nichts gesagt. Das ist es ja. Es gibt nichts mehr zu sagen. Wir sind tot.« Das war vielleicht etwas zu dramatisch ausgedrückt, aber so fühlte es sich an.
    »Mo und ich haben uns auch nicht viel zu sagen. Das meiste ist nach über zehn Jahren ja auch schon gesagt, daran liegt es wahrscheinlich. Wir schweigen ziemlich oft einfach nur. Aber das ist okay, denn dann haben wir Sex,

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