Im Zweifel suedwaerts
seine Effizienz. Manchmal war die Sprachbarriere ein wahrer Segen.
»Wie macht sie das bloß?«, fragte Betty.
»Pausenlos zu reden?«
»Nein. Diese Typen. Ausgerechnet Lucinda. Erst der Pole, jetzt der Spanier. Bestes Urlaubsspaßmaterial. Die fliegen ihr einfach so zu. Und ich?«
»Du hast Marco«, sagte ich. »Aber der genügt ja deinen hohen ästhetischen Ansprüchen nicht. Ich frage mich: War es denn überhaupt nicht schön, als er an deinem Po gesaugt hat?«
Betty ignorierte mich. »Wie macht sie das bloß?«
»Frag sie doch.«
Lucy war von ihrem Platz neben dem Bus aufgestanden und kam zu uns in den Schatten. Sie sah ein bisschen zerknirscht aus. »Marco sagt, ich störe ihn bei der Arbeit.«
Ich verkniff mir ein Schmunzeln. »Sag mal, Lucy … Wo hast du Jesus eigentlich gefunden?«
»Auf der Kuhweide, wieso?«
Selbstverständlich. Auf der Kuhweide. Wo man sich eben so kennenlernt. »Und was hat er da gemacht?«
Lucy schien meine Frage irgendwie unsinnig zu finden. »Er war einfach da?«
»Siehst du?!« Betty schlug mit der flachen Hand auf die Armlehne ihres Klappstuhls. »Er war einfach da. Das gibt’s doch nicht!«
Vielleicht ja doch. Wer suchet, der findet. Aber wer nicht sucht, findet auch – nämlich das, was er nicht sucht. Was eigentlich viel besser ist.
Ich befühlte besorgt meine Stirn und beschloss, dass es zu heiß zum Philosophieren war. Erschöpft schloss ich meine Augen und schlief ein.
Am Horizont schob sich die Sonne als roter Ball aus unserem Sichtfeld, als Marco in den VW -Bus einstieg, den Schlüssel ins Zündschloss steckte und nach rechts drehte. Der Motor sprang problemlos an, und der gelbe Bus vibrierte und brummte im Abendlicht. Marco ließ einen Jubelschrei hören (eher Cowboy als Indianer), stellte den Motor wieder ab und hielt die Hand zum High Five mit Jesus aus dem Fenster.
»Gott sei Dank«, seufzte ich.
»Wohl eher Jesus sei Dank«, korrigierte mich Betty.
Lucy lief barfuß über die Wiese und umarmte unseren Retter.
Es war der Auftakt zu einem gemütlichen Abend in außerordentlich gelöster Stimmung auf unserem Berggipfel. Marco und Betty bastelten ein kleines Lagerfeuer zusammen, wobei sie natürlich sämtliche Brandschutzbestimmungen vorbildlich beachteten. Das wusste ich, weil sie uns andere immer wieder darauf hinwiesen. Es stellte sich außerdem heraus, dass Jesus nicht nur VW -Busse reparieren konnte, sondern auch in der Lage war, aus unserem spärlichen Vorrat ein köstliches Mahl zuzubereiten – Nudeln mit Zwiebeln und Thunfisch aus der Dose –, das wir unter einem unendlich weiten, sternenübersäten Himmel zu uns nahmen. Um den Abend perfekt zu machen, zauberte unser stiller Gast zwei Flaschen Rotwein aus seinem Rucksack, die wir untereinander weiterreichten (wobei Lucy wie gewohnt ablehnte), und unsere einzige Sorge war, dass der Wein nicht den Joint und umgekehrt der Joint nicht den Wein überrundete.
Marco holte seine Gitarre aus dem Van und spielte als Tribut an unseren unerwarteten Helden des Tages die Johnny-Cash-Version von »Personal Jesus«. Your own personal Jesus, someone to hear your prayers, someone who cares. Wir waren schwer beeindruckt von seiner Fingerfertigkeit an den Saiten (ich wies Betty darauf hin, aber sie winkte nur ab) und seiner überraschend guten Stimme. Den »Reach out and touch faith« -Teil sangen wir alle gemeinsam, das war gut für das Gruppengefühl, wobei unser ganz persönlicher Jesus sich aus allem raushielt, einfach nur dasaß und still lächelte. Der Schein des Feuers spielte auf seinem Gesicht, seine strubbeligen Haare wippten, während er im Takt nickte. Es war seltsam, er hatte uns gerettet, uns ein Abendessen gekocht und die letzten Stunden mit uns verbracht, aber er interagierte nicht mit uns. Er war einfach nur da. Und das, ohne dass es unangenehm war oder ich mich gezwungen fühlte, ihn einzubinden oder mit ihm zu reden. Was ohnehin nicht möglich gewesen wäre, mit »Hola« allein ließ sich schwer ein Gespräch führen. Umso schöner, dass es gar nicht nötig war.
Marco spielte noch andere Hits, »Nothing Else Matters« und »Knockin’ On Heavens Door«, Jungskram eben. Aber das war okay, weil die Musikauswahl perfekt auf den Berg und zum Lagerfeuer passte. Er lieh Betty eine Mundharmonika, mit der sie allen möglichen Quatsch anstellte, aber kein Lied zustande bekam. Lucy sang in ihrem typischen, ausgedachten Kauderwelsch mit, ich klatschte den Takt, und wir konsumierten noch den einen oder
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