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Im Zweifel suedwaerts

Im Zweifel suedwaerts

Titel: Im Zweifel suedwaerts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katarina Fischer
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anderen Joint, bis nach und nach erst Lucy, dann Marco und schließlich Betty eine gute Nacht wünschten und es sich in ihren Betten gemütlich machten.
    Nur ich saß noch da, Jesus gegenüber, der zwar auch glasige Augen hatte, aber wohl eher vom Rauch, nicht weil er müde war. Er wirkte jedenfalls hellwach und sah aus, als wäre er gerade eben erst gekommen. »Gracias«, sagte ich. Das einzige weitere spanische Wort, das mir nach langem Überlegen noch eingefallen war.
    Jesus nickte und lächelte.
    »Where?«, fragte ich und legte meine Hände mit den Handflächen aufeinander und schmiegte meine Wange daran, um Schlaf darzustellen. Wo würde Jesus schlafen? Marco hätte bestimmt nichts dagegen, wenn er in seinem Camper übernachtete.
    »Aquí«, sagte Jesus, und deutete auf seinen Platz neben dem schwächer werdenden Feuer.
    »Aber es wird bestimmt … äh …«, ich legte meine Arme um den Körper und machte »Brr!«. Kalt, es würde kalt werden, spätestens wenn das Feuer ausging.
    Aber Jesus lächelte mich nur an und sagte noch einmal »aquí«, und da gab ich es auf. Es brachte nichts zu diskutieren, wenn einem mehr als neunundneunzig Prozent der nötigen Vokabeln fehlten. Ich erhob mich und wünschte ihm auf Englisch eine gute Nacht, er antwortete mit »Buenas noches«, und als ich in den Bus stieg und mich noch einmal zu ihm umdrehte, saß er mit dem Rücken zu mir am Feuer. Vielleicht beobachtete er die Sterne. Ganz sicher lächelte er still in sich hinein, das spürte ich irgendwie. Und es freute mich. Ich warf einen Blick nach oben, und es präsentierte sich mir ein Nachthimmel, so dicht bedeckt mit Sternen, dass es aussah, als hätte er Masern aus Licht. Ich fand ihn wunderschön. Dann ging ich schlafen.
    Ich hatte irgendwie damit gerechnet.
    Als ich am nächsten Morgen meine Augen öffnete, früh, noch bevor die Sonne den Bus hatte aufheizen können, hörte ich erst eine Kuh muhen. Dann eine zweite. Und dann hörte ich Lucy, die ihren Kopf durch die Schiebetür steckte und atemlos verkündete: »Jesus ist weg!«
    »Hast du unterm Bus nachgesehen?«, murmelte Betty im Halbschlaf.
    Lucy schnaufte wütend – »sehr witzig!« – und ließ uns wieder allein, um über die Weide zu rennen und immer wieder »Jesus!« zu rufen. Die Antwort darauf war weiteres vereinzeltes Kuhmuhen. Ein Außenstehender hätte sie für verrückt erklärt.
    »Tja, es ist schon ein bisschen merkwürdig«, meinte Marco dazu, nachdem wir unsere Sachen in den Bussen verstaut und die Hinterlassenschaften unseres Aufenthalts auf dem Berg weggeräumt hatten. »Mysteriös, könnte man auch sagen.« Er überblickte nachdenklich die Weiten der Kuhweide und rührte in seinem Morgenkaffee. Betty stand neben ihm und tat dasselbe. Die Fahrer brauchten Koffein. »Taucht hier auf, sagt kein’ Ton, rettet uns den Arsch, verschwindet einfach wieder.«
    »Ohne Tschüss zu sagen«, ergänzte Lucy empört. Ich sah ihr an, dass es sie beschäftigte, dass schon wieder eine ihrer Bekanntschaften sang- und klanglos abgehauen war. Das war nicht gut fürs Selbstwertgefühl, keine Frage. Aber in Jesus’ Fall war das etwas anderes als vor ein paar Tagen mit Karol. Meine Meinung.
    Betty nahm einen Schluck Kaffee und runzelte die Stirn. »Was meint ihr? War das nur Glück? Oder Zufall? Oder war Jesus jetzt wirklich Jesus oder was?«
    »Der wusste eine Menge über VW -Busse, so viel steht mal fest.«
    »Jesus. Sohn eines Kfz-Mechanikers.«
    Wir standen einen Moment schweigend nebeneinander im Morgensonnenschein auf dem Berg der Wunder und dachten über den seltsamen vergangenen Tag nach. Dafür reiste man, um solche Dinge zu erleben. War es nicht so?
    »Aber er hätte wirklich mal Auf Wiedersehen sagen können, oder?« Lucy schlug nach einem Insekt auf ihrem Arm und starrte in Richtung der Kühe. »Also echt mal. Ich wollte ihm zum Dank das Einhorn-Bild schenken.«
    »Vielleicht hat er ja davon Wind bekommen und ist deswegen abgehauen …« Marco grinste.
    Lucy sah schwer getroffen aus. »Was weißt du schon? Ich bin mir sicher, Jesus hätte es sehr gern gemocht.«
    Plötzlich fing Betty an zu lachen, so sehr, dass ihr Kaffee über den Rand schwappte und sie den Becher auf dem Boden abstellen musste, um sich nicht zu verbrühen. »Hahaha!«
    »Betty?«, fragte ich besorgt und versuchte, Blickkontakt mit ihr aufzunehmen. »Ist es wegen des Einhorns?«
    »Ihr seid blöd!« Lucy verschränkte beleidigt die Arme vor ihrer Brust.
    Schnaufend schüttelte Betty den

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