Im Zweifel suedwaerts
Kopf. »Nee, ich hab nur gedacht …« Sie musste wieder lachen und sich außerdem an Marcos Camper abstützen. »Ich hab nur gedacht: Is ja klar, dass der Pole ’nen polnischen Abgang hinlegt. Aber der Spanier?«
»Ts!«, machte Lucy und stapfte, die Arme noch immer verknotet, zum Bus. Und das war auf jeden Fall besser, als wenn sie über die Felder weggelaufen wäre – bei Lucy hätte das inzwischen niemanden mehr überrascht –, denn wir waren schließlich abfahrbereit. Es war Zeit, den Berg der Wunder zu verlassen.
Und zum Abschied sagte ich noch einmal leise: »Gracias, Jesus.«
14
Der Teil mit dem großen Knall
DAPHNES MIXTAPE
Generationals – When They Fight They Fight
Richard und ich waren seit etwas mehr als einem halben Jahr ein Paar, als er seine Zelte in New York abbrach und nach Hause kam, und die Tage vor seiner Rückkehr waren die aufregendsten und schönsten meines Lebens. So definitiv kann und soll man das eigentlich nicht sagen, aber in dieser Zeit kam es mir zumindest so vor. Ich war schließlich verliebt.
Ich wachte damals jeden Morgen mit einem Gewusel von Schmetterlingen im Bauch auf, die einfach nicht wieder verschwinden wollten und mich den ganzen Tag lang begleiteten. Manche flatterten so weit oben, dass sie mich im Hals kitzelten und ich lachen musste, einfach so, für die Menschen um mich herum scheinbar grundlos. Aber ich hatte einen sehr guten Grund. Endlich kam der Mann, den ich liebte, zu mir zurück, und er würde bleiben, eine Lücke füllen, die ich immer schon in meinem Leben gespürt hatte: da wo das Herz war und diese Pärchensache, mit der andere Leute, die ich kannte, ihre Tage und Jahre verbrachten. Gemeinsam aufwachen, gemeinsam essen, gemeinsam Dinge erleben, gemeinsam einschlafen. Die Vorfreude darauf pflanzte mir ein schwachsinniges Grinsen ins Gesicht und Bilder in meinen Kopf, von glücklichen Momenten, die auf mich warteten. Das waren sonnige, fröhliche Bilder. Nie kam in meinen Visionen so etwas wie Streit, Langeweile oder dieses genervte Gefühl vor, das sich breitmachte, wenn zwei Menschen unterschiedliche Dinge wollen und keinen Kompromiss finden.
Stattdessen hatte ich, auf rosafarbenen Wölkchen schwebend, einen Mandelkuchen gebacken, das extravaganteste Gebäck, zu dessen Herstellung ich in der Lage war, das außerdem gut zu Richards Augen passte, die ja auch mandelförmig sind. In der Vase auf dem Küchentisch hatte ich frische Blumen arrangiert (Freesien), und nach ungefähr anderthalb Stunden war es mir gelungen, mich endlich für ein Kleid zu entscheiden, das ich zur Feier des Tages tragen wollte – zumindest bis Richard es mir auszog. Mit meinen Haaren war ich in etwa genauso lange beschäftigt. Aber das war alles im Rahmen, fand ich, immerhin war ich so verliebt wie nie, da konnte man sich gar nicht genug ins Zeug legen. Ablenkung, oder man platzt. Und dann fliegen die ganzen schönen Schmetterlinge raus.
Am großen Tag klingelte Richard gegen halb vier an meiner Tür. Es war ein Samstag. Ich erlaubte mir einen kleinen, unterdrückten Schrei, einen Juchzer, wie Oma Mathilde es genannt hätte, die immer gern betont hatte, dass Vorfreude die schönste Freude sei. Eine weise Frau.
Ich rannte zur Wohnungstür, riss sie auf und sah in ein erschöpftes Gesicht. »Unten war offen«, war alles, was er sagte. Macht nix, dachte ich, nahm Anlauf und sprang dem Mann mit den Mandelaugen, die sich übergangsweise in müde Schweinsäuglein verwandelt hatten, in die Arme. Er drückte mich an sich. Alles okay also. Meine Lippen suchten seinen Mund, ich bekam einen kurzen, trockenen Kuss ohne Zunge verpasst, und dann schob Richard seine zwei Koffer und den Rucksack an mir vorbei in den Flur.
Ich fühlte mich etwas zweitrangig. Die Schmetterlinge machten eine Pause und warteten mit leicht vibrierenden Flügeln ab. Erst die Koffer, dann die Liebe. Kommt vor.
Richard ließ einen Seufzer hören, gab mir im Vorbeigehen einen weiteren Kuss ohne Zunge, aufs Haar nämlich, und ließ sich im Wohnzimmer aufs Sofa fallen. Ich blieb in der Tür stehen, unschlüssig und ein wenig beleidigt. Wo blieb die überschwängliche Wiedersehensfreude? Das Feuerwerk? Das Festival der Liebe? Und warum, zum Teufel, bekam ich kein Kompliment für mein wunderschönes Kleid?
Richard öffnete seine Arme für mich, und ich durfte mich neben ihn legen und mich an sein verschwitztes T -Shirt drücken lassen. Der Schweiß war nicht das Problem. Der Mangel an Worten war es. Da konnten die
Weitere Kostenlose Bücher