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Im Zweifel suedwaerts

Im Zweifel suedwaerts

Titel: Im Zweifel suedwaerts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katarina Fischer
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und ich fühlte mich verschwitzt und schmutzig und wünschte mir von ganzem Herzen eine ausgiebige, kalte Dusche. Oder einfach ein schnelles Bad im Meer. Stattdessen putzten wir uns mit warmem Wasser aus dem Trinkwasserkanister unter der Schnellstraße die Zähne, legten uns ohne Decke und alle viere von uns gestreckt auf die Matratze im Bus und waren ganz froh, dass Betty nicht da war und wir so viel Platz für uns hatten. Es war fast zu heiß zum Atmen.
    Umso mehr wunderte ich mich darüber, wie schnell Lucy eingeschlafen war, was ich an den gleichmäßigen, lang gezogenen Atemzügen und dem niedlichen Schmatzgeräusch erkannte, das sie in den ersten Minuten ihrer Nachtruhe gern machte. Faszinierend, dachte ich, dass fünf Nächte genügen, damit ich Lucys Einschlafroutine genauso gut kenne wie Richards.
    Einschlafen. Das wäre schön gewesen, aber ganz egal wie müde ich eben gerade noch gewesen war, daran war nicht zu denken. Ich wälzte mich von einer Seite auf die andere in meinem verzweifelten Bemühen, eine effektive Schlafposition zu finden, aber ich blieb hellwach, als hätte ich einen Eimer Koffein zu mir genommen. Über meinem Kopf, über dem Dach des Busses und links und rechts von dem Mittelstreifen, auf dem wir standen, rauschten die Autos in einer unregelmäßigen Regelmäßigkeit vorbei. Das Geräusch machte mich wahnsinnig.
    Leise fluchend und vorsichtig, um Lucy nicht zu wecken, bewegte ich mich von der Matratze hinunter und wühlte im Dunkeln in meiner Tasche herum auf der Suche nach den Ohrstöpseln, die ganz sicher da irgendwo sein mussten, die ich aber nicht fand. Nach ein paar Minuten gab ich auf, setzte mich auf den Matratzenrand und überlegte, was ich tun sollte, jetzt, da ich das mit dem Schlafen ohnehin vergessen konnte. Richard. Tagelang hatte ich kaum an ihn gedacht, und wenn, dann nicht unbedingt positiv, in den letzten Stunden aber hatte er sich immer wieder in meinen Kopf geschlichen. Und in meinen Bauch. Ich spürte plötzlich das unbedingte Verlangen, mit ihm zu sprechen. Ich nahm mein Handy von dem Regal über der Matratze, schlüpfte in das nächste Paar Flip-Flops, das ich finden konnte, merkte, dass es Lucys waren, zwei Nummern zu klein für meine Füße, beschloss, dass das egal war, und öffnete die Tür. Autolärm schlug mir entgegen.
    »Daphne? Es ist gleich Mitternacht. Ist was passiert?«
    »Nein, ich kann nur nicht schlafen …«
    »Ich schon.«
    »Tut mir leid. Hab ich dich geweckt?« Ich wusste, wie Richard klang, wenn man ihn aus dem Schlaf riss. So wie jetzt. Insofern war meine Frage ziemlich überflüssig, ich stellte sie aber trotzdem, süß und anschmiegsam. Wie eine Katze, die sich ihren Platz auf dem Schoß erschmust, genau so fühlte ich mich.
    Nachdem ich die letzten Tage damit verbracht hatte, Richard nicht zu vermissen, war ich auf einmal übermannt von einer unerbittlichen Sehnsucht. Ich wollte mich neben ihn in unser Bett legen, damit er mich fest in den Arm nehmen und mir einen Kuss auf den Nacken geben konnte, wie er es immer tat. Ich konnte ihn förmlich riechen. Meine Fingerspitzen meldeten eine Art Phantom-Berührung. Es war so intensiv, dass es seltsam war, und wenn in meinem Kopf Platz dafür gewesen wäre, hätte ich mich vielleicht darüber gewundert und mich gefragt, was diese 180-Grad-Wendung in meinem Gefühlszentrum veranlasst hatte. Aber so, wie es war, war alles, was ich tun konnte, schnurren.
    »Ich hab noch nicht so lang geschlafen, ist nicht so schlimm.« Richard gähnte lang gezogen am anderen Ende der Leitung. »Was ist das denn für ein Krach? Stehst du an der Autobahn?«
    »Wir parken unter einer sechsspurigen Schnellstraße. Neben einer vierspurigen Hauptstraße. In Lissabon.«
    »Dann ist es ja kein Wunder, dass du nicht schlafen kannst.«
    »Ja. Das und …«, in meinem Bauch kribbelte es, »ich hab dich vermisst, glaube ich.« Schmetterlinge! Wer hätte damit heute noch gerechnet?
    Richard atmete entspannt ein und aus. »Ach, Kleines. Du fehlst mir auch.«
    Fast hätte ich gequietscht vor Glück, beließ es aber bei einem Lächeln. »Ich liebe dich.«
    »Und ich liebe dich.«
    Mehr brauchte ich nicht. Das Gleichgewicht war wiederhergestellt. Ich verstand gar nicht, was in der letzten Woche mit mir los gewesen war. Was genau war mein Problem gewesen? Es war doch alles in Ordnung, sogar mehr als in Ordnung. Geradezu wunderbar war es. Ich war im Urlaub, zu Hause wartete der Mann, den ich liebte, der mich auch liebte … es war genau

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