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Im Zweifel suedwaerts

Im Zweifel suedwaerts

Titel: Im Zweifel suedwaerts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katarina Fischer
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so, wie Betty gesagt hatte. »Okay, ich lass dich dann mal weiterschlafen«, sagte ich, »du musst morgen bestimmt früh aufstehen. Ist doch Montag oder?« Hätte ich bloß nicht gefragt.
    »Ja, ist es«, antwortete Richard. Hätte er bloß wenigstens kurz über das nachgedacht, was er als Nächstes sagte. »Aber ich kann ja ausschlafen.«
    »Wie? Ausschlafen?« Ich schnurrte nicht mehr.
    »Ähm«, machte er, und ich hörte förmlich, wie ihm sein Fehler bewusst wurde, wie er angestrengt nach einer Erklärung suchte, die mich nicht böse machen würde. Es gab sie nicht. Er seufzte. »Ich hab mir freigenommen.«
    »Morgen?«
    »Die nächsten zwei Wochen.«
    Ich schnappte nach Luft. Nichts war mehr weich und anschmiegsam. Keine Spur mehr von Schmetterlingen, stattdessen ein Haus aus Glas, kalt und scharfkantig, in das jemand einen Stein geworfen hatte. Ich hörte das Klirren, die Splitter flogen, und ich merkte die Stiche in der Magengegend, als die Scherben sich in mich bohrten. »Du hast dir zwei Wochen freigenommen? Ausgerechnet jetzt? Ausgerechnet dann, wenn ich selbst im Urlaub bin?« Meine Stimme überschlug sich vor Empörung mit jedem Fragezeichen. Zumindest in meinem Kopf war sie lauter als die Schnellstraße.
    Richard versuchte, sich zu erklären. »Das ist alles ziemlich scheiße gelaufen, ich weiß. Aber plötzlich hat es gut gepasst, weil wir die meisten Projekte abgeschlossen haben, und nachdem die letzten Wochen so viel zu tun war …«
    »Du konntest dir nicht einen einzigen Tag freinehmen, bevor ich weggefahren bin!«
    »Ja eben, weil so viel zu tun war.«
    »Aber jetzt plötzlich geht es?!«
    »Daphne, hörst du mir eigentlich zu?«
    Berechtigte Frage, und: Nein, ich hörte nicht zu. Ich war wütend. Rasend wütend. Taub vor Wut. »Seit zwei Jahren versprichst du mir, dass wir zusammen Urlaub machen. Und nie bekommst du frei. Nie. Und wenn ich einmal beschließe, mit meinen Freundinnen wegzufahren, statt in Hamburg zu hocken und meine freie Zeit damit zu verbringen, darauf zu warten, dass du endlich fertig bist mit deinem Musikscheiß, dann klappt es plötzlich mit deinem Urlaub. Denkst du, ich bin bescheuert?«
    »Du legst dir das jetzt irgendwie zurecht, damit du auf mich sauer sein kannst.«
    »Ja, Richard, genau, weil es mir so viel Spaß macht, sauer auf dich zu sein. Das ist auch der Grund, warum ich überhaupt noch mit dir zusammen bin. Weil ich mich so unendlich gern über dich aufrege.«
    Er war still, anders still als bei den Telefonaten der letzten Tage. Als wir uns einfach nichts zu sagen hatten. Diese Stille war voller Dinge, die gesagt werden wollten, Entschuldigungen und Anschuldigungen auf beiden Seiten. Aber wir waren wohl beide überrollt von der Entwicklung dieses Gesprächs und der Wucht des Ungesagten. Eine kleine Glashausscherbe piekte mich in die Niere und gab mir die Energie für ein letztes Wort. »Arschloch«, sagte ich. Und dann legte ich auf.
    Ich weinte noch ein bisschen unter der Schnellstraße. Als ich endlich wieder müde war und meine Nase verstopft, strich ich mir die Haare aus dem verschwitzten Gesicht und stieg in den Bus. Im Licht der Straßenlaterne, das orange durch das Fenster fiel, lag Lucy auf der Matratze und kratzte sich im Schlaf, verbissen und ohne Aussicht auf ein schnelles Ende.

15
    Der Teil mit dem Ende der Fahrt
    DAPHNES MIXTAPE
    Astrud Gilberto – Take It Easy My Brother Charlie
    Das kleine Mädchen hatte große dunkle Augen, lange schwarze Locken und trug an den Füßen giftgrüne Plastiksandalen. Auf dem langen T -Shirt, das es als Kleid trug, war ein riesiger knallgelber Tweety mit einer rosafarbenen Schleife auf dem mutierten Riesenschädel. Das Mädchen war vier oder fünf Jahre alt und trat gelangweilt von einem Fuß auf den anderen, drehte sich um sich selbst und kaute gedankenverloren auf dem Zeigefinger seiner rechten Hand. Was Kinder eben taten, die nichts mit sich anzufangen wussten. Die Mutter des Mädchens unterhielt sich seit einer gefühlten Stunde mit einer mutmaßlichen Bekannten, die sie auf der Straße vor dem Waschsalon getroffen hatte, in dem Betty, Lucy und ich auf Bänken saßen und schwitzend darauf warteten, dass unser Waschgang beendet wurde.
    Aus irgendeinem Grund hatte es das Mädchen auf mich abgesehen. Sie schaute immer wieder durch die Eingangstür, winkte mir schüchtern zu und versteckte sich kichernd hinter der Tür, wenn ich zu ihr hinübersah und müde zurückwinkte. Ich hatte keine Lust, mich mit dem Kind zu

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