Im Zweifel suedwaerts
während der Fahrt in dem stickigen Bus vielleicht ihr Gehirn überhitzt war.
»Ich liebe Urlaub!«
»Wer tut das nicht?«
Lucy tippte Betty an die Schulter und zeigte neben sich auf den Boden. »Guck mal, eine Katze!« Nicht dass das eine Sichtung der besonderen Art gewesen wäre. In der schmalen Gasse, in der unser Esstisch dicht an der Hauswand des Restaurants stand, wimmelte es nur so von Streunern. Zwei Hunde warteten ein paar Meter weiter in der Dunkelheit auf eine Gelegenheit, sich heruntergefallene Essensreste einzuverleiben, und die Katzen, dünn und struppig, strichen an den Wänden entlang und um Tischbeine herum, mit derselben Mission. Eine von ihnen saß direkt neben unserem Tisch und ließ sich von Lucy ihr räudiges, getigertes Fell streicheln, während sie an den Fingern der anderen Hand schnupperte, die Lucy ihr hinhielt wie eine Visitenkarte.
Marco intervenierte mit fast väterlicher Strenge. »Lucy! Net anfassen!«
Lucy sah ihn kurz verdutzt an, ließ sich aber nicht beirren und kraulte die Katze weiter hinter den Ohren, was diese dazu animierte, ihren Kopf an Lucys Handgelenk zu reiben. »Die ist aber ganz lieb, Marco, die beißt nicht.« Lucy war anscheinend überzeugt, solche Einschätzungen nach fünf Sekunden machen zu können. Aber für sie hatte ja auch ein Tag gereicht, um zu glauben, dass Karol der eine für sie war.
»Ich sag ja auch gar nicht, dass die Katze dich beißt, aber auf der Katz …«
»Zu den Hunden geh ich nicht«, versprach Lucy, die offensichtlich nur mit halbem Ohr zugehört hatte, »vor Hunden hab ich nämlich Angst. Der Hund da auf dem Bauernhof am Strand, vor dem hatte ich auch richtig Angst. Das kannst du dir gar nicht vorstellen. Oder Willi, der Hund von meinen Eltern … wenn ich nach Hause komm, müssen sie ihn immer wegsperren. Der ist echt gefährlich.« Während sie sprach, wanderten ihre Finger durch das räudige Katzenfell.
»Ich geb’s auf.« Marco schüttelte matt den Kopf. »Einer kapiert’s nie.«
»Noch ’n Gläschen Port?«, fragte Betty und war schon dabei, den Kellner herbeizuwinken.
»Nicht für mich.« Ich kratzte die letzten Reste meiner Mahlzeit auf dem Teller zusammen und schob mir den ganzen Haufen in den Mund.
»Schätzelein, du begehst einen großen Fehler …«
»… denn in Portugal trinkt man Portwein«, beendete ich mit vollem Mund ihren Satz.
»Ganz genau. Und er ist einfach köstlich.« Sie leckte sich demonstrativ über die Lippen, zeigte auf die leeren Gläser und hielt zwei Finger hoch, als der Kellner kam. »Dois, por favor.«
Ich hob erstaunt die Augenbrauen. »Portugiesisch, Bettina?«
»Ich hau dir gleich eine rein.« Sie bedachte mich mit einem bösen Blick und nickte zu den zwei älteren Herren hinüber, die vor der Bar auf der anderen Seite der Gasse saßen, also etwa einen halben Meter von uns entfernt. »Hab ich bei denen aufgeschnappt.«
»Nicht schlecht.« Ich verzog anerkennend den Mund, dann übernahm ein herzhaftes Gähnen. »Tut mir leid, Leute, aber ich muss zurück zum Bus. Sonst schlaf ich hier noch ein.« Ich durchsuchte meine Tasche nach meinem Portemonnaie, aber Marco hob eine Hand, um mich zu stoppen.
»Lass mal, ihr seid eingeladen. Hab ich doch versprochen.«
Ich sah ihn verdutzt an und wartete, dass er das Angebot zurücknahm, was er aber nicht tat und bedankte mich schließlich überrascht. Betty und Lucy schlossen sich mir an, was dazu führte, dass Marco vor Verlegenheit rot anlief. »Macht da jetzt nicht so ein großes Ding draus. Ihr seid die besten Reisebegleiter, die ich seit Langem hatte.«
Ein kollektives »Awwww!« ertönte an unserem Tisch, und weil ich direkt neben Marco saß, umarmte ich ihn fest und fühlte die weiche, warme Haut unter seinem T -Shirt und hatte plötzlich diesen Männergeruch in der Nase. Ein Geruch wie aus einer lange vergangenen Zeit. Richard, schoss es mir durch den Kopf. Ein warmes Gefühl bewegte sich in meinem Bauch. Ich ließ Marco los und machte somit die Bahn frei für Betty, die ihm über den Tisch gebeugt einen feuchten Portweinkuss mitten auf den Mund gab. Wie er darauf reagierte, nahm ich nicht mehr wahr, ich war zu abgelenkt. Ich dachte an Richard. Überraschend gute Gedanken.
Während Marco und Betty noch gemeinsam die Altstadt von Lissabon unsicher machen wollten, hatten Lucy und ich uns, taumelnd vor Müdigkeit und Übersättigung, zurück zum Bus geschleppt. Die Lissabonner Nacht war kaum kühler, als es der Tag auf der Autobahn gewesen war,
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