Im Zwielicht der Gefühle (German Edition)
in jene Zeit zurückgekehrt. „Ranulf war vermutlich derselben Meinung. Er schlug mich kurzerhand bewusstlos. Als die Abenddämmerung einsetzte, kam er mit zwei gesattelten Pferden zu mir. Er schwang sich wortlos in den Sattel und bedeutete mir, ihm zu folgen.
Wenige Stunden später hatten wir den Tross erreicht. Sie hatten ihr Nachtlager aufgeschlagen. Wir warteten, bis sie schliefen, dann schlich sich Ranulf ins Lager und schaltete eine Wache nach der anderen aus, während ich die Frauen befreite.“
„Er hat sich dieser Übermacht allein gestellt?“
„Ja. Ich habe noch nie einen Krieger mit seinem Geschick erlebt. Er bewegte sich so lautlos wie ein Schatten. Die Sklavenhändler hatten keine Chance.“ Valandra erschauderte, als sie sich die verschiedenen Begebenheiten in Erinnerung rief, in denen Ranulf scheinbar aus dem Nichts neben ihr aufgetaucht war. Es war in der Tat beängstigend, wie geräuschlos sich dieser Riese bewegen konnte.
„Dann hat er sie alle getötet?“
„Nein, keinen einzigen von ihnen.“ Ein anerkennendes Grinsen erhellte Kasims Züge. „Er hat sie wie Kälber verschnürt und aneinander gebunden. Beim ersten Morgengrauen ist er mit ihnen nach Damaskus aufgebrochen und hat sie auf dem Sklavenmarkt verkauft.“
Valandras Augen weiteten sich. „Ich verstehe. Er hat Gleiches mit Gleichem vergolten! Die Männer wollten ihre Gefangenen in die Sklaverei verkaufen, und nun sollten sie am eigenen Leib erfahren, was das bedeutet.“
Kasim nickte ernst. „Genau. Ranulf besitzt ein ausgeprägtes Gefühl für Gerechtigkeit... Einige Tage später kehrte er in unser Zeltlager zurück und übergab meiner Mutter den Erlös aus dem Verkauf. Ich nehme an, das war seine Art, um ihr für die Pflege seiner Wunde zu danken. Danach ritt er wieder fort, und ich folgte ihm. Solange ich meine Schuld bei ihm nicht beglichen habe, werde ich nicht von seiner Seite weichen.“
Valandra versank in nachdenkliches Schweigen, bevor sie leise sagte: „Es muss hart sein, so viele Jahre von seiner Familie getrennt zu sein.“
Kasim hob die Hand an die Brust. „Wir sind nicht wirklich getrennt. Im Herzen sind wir immer eine Familie. Eines Tages werden wir uns wieder sehen. Dieses Wissen ist mir Trost genug.“
Valandra nickte schweigend. Auch sie hatte sich in den vergangenen Monaten an die Hoffnung geklammert, ihren Vater bald wieder zu sehen. Doch diese Gedanken waren ihr nur selten ein Trost gewesen. Vielmehr hatten sie das Heimweh so sehr verstärkt, dass ihr Herz zu einer ständig blutenden Wunde geworden war.
Valandra schob die tristen Gedanken energisch beiseite. „Hat Ranulf dir jemals von einem Mann namens Malven erzählt?“
Kasims Augen nahmen einen wachsamen Ausdruck an. „Woher kennt Ihr diesen Namen?“
„Von Ranulf selbst. Er erklärte mir zwar, dass es sich bei diesem Malven um einen alten Freund handle; dennoch schien er sehr beunruhigt.“
„Und das zu Recht“, flüsterte Kasim so leise, dass Valandra ihn kaum hören konnte, und spähte unauffällig zum lichten Waldrand hinüber. Er hatte die junge Lady geschickt aus dem Wald hinausgeführt, und nun befanden sie sich wieder auf dem Weg in die Sicherheit der Burg. Dennoch wusste er, dass die Gefahr nicht gebannt war. Malven konnte hinter jedem Baum, hinter jedem Busch lauern.
Kasim schimpfte Ranulf in Gedanken einen Narren. Sein Freund war so sehr darauf bedacht, das Geheimnis des De-la-Chacre-Ordens zu wahren, dass er die junge Lady ernstlich in Gefahr brachte. Unwissenheit war der schlimmste Feind.
„Ich weiß nicht viel über diesen Mann. Nur, dass er früher im selben Orden wie Ranulf diente. Sie waren Freunde.“
Valandra brachte ihre Stute abrupt zum Stehen. „Du willst mir doch nicht allen Ernstes erklären, Ranulf sei ein Mönch?!“ Sie lachte ungläubig auf und schüttelte entschieden den Kopf. „Das wäre eben so glaubhaft, als würdest du behaupten, der Luzifer sei wieder in den Himmel aufgestiegen und spiele nun an der Seite unseres Herrn Harfe.“
Kasim furchte verwirrt die Stirn. „Vergebung, Eure Religion ist mir fremd. Ranulf war tatsächlich ein Mönch. Lange Jahre hat er einem Kriegerorden angehört...“ „Und vermutlich ist er am Zölibat jämmerlich gescheitert“, fügte Valandra schärfer als beabsichtigt hinzu.
Kasim unterdrückte ein leises Lachen.
„Nein, Mylady. Er hat erkannt, dass alles eine Lüge war.“
„Und war Malven Teil dieser Lüge?“
Kasim überlegte lange, ob er ihr die Wahrheit
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