Im Zwielicht der Gefühle (German Edition)
Decke um die Schultern gelegt. Anscheinend hatte es geregnet, doch auch dessen war sie sich nicht sicher. Das Einzige, woran sie sich mit aller Deutlichkeit erinnerte, war Ranulfs steifer Rücken. Er war vor ihr geritten, ohne sich ein einziges Mal nach ihr umzudrehen. Deutlicher hätte er ihr nicht zu verstehen geben können, dass er nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte. Und sie erinnerte sich an den Schmerz, der sich mit jedem Hufschlag tiefer in ihr Herz gebohrt hatte und seither ihr ständiger Begleiter geworden war.
Nun stand Valandra in ihrem Gemach vor der fensterähnlichen Öffnung und schaute mit leerem Blick auf das verlassene Übungsfeld hinunter. Die Abenddämmerung hatte ihr rotes Kleid über Walkmoor gelegt, und Ruhe war eingekehrt.
Ihr Blick wurde von einer hoch gewachsenen, männlichen Gestalt auf der Brustwehr angezogen. Obwohl sie nur seine Konturen erkennen konnte, wusste sie, dass es Ranulf war. Sie würde ihn immer und überall erkennen. Seine stolze Haltung, die breiten Schultern... und die Tatsache, dass er stets die Einsamkeit zu suchen schien. Er beobachtete den Sonnenuntergang. Genau wie sie, doch weiter voneinander entfernt hätten sie gar nicht sein können.
Valandras Augen sogen sich an seinem Antlitz fest, und sie spürte, wie sich der bleierne Druck in ihrer Brust verstärkte. Sie hatte versucht, ihn zu hassen. Weiß Gott, sie hatte es versucht. Er hatte nichts Besseres verdient.
Seit jenem Tag in der Jagdhütte hatte er kaum ein Wort mit ihr gewechselt. Er mied sie wie eine ansteckende Krankheit und konnte sich nicht einmal dazu durchringen, seine Mahlzeiten am selben Tisch mit ihr einzunehmen.
Wie sehr musste er sie für ihre Dummheit und Naivität verachten! Sie hatte ihm voller Glück ihre Liebe gestanden, hatte sich ihm bereitwillig hingegeben und von einer gemeinsamen Zukunft geträumt, während ihm nur an ihrem Körper gelegen war – und selbst dieses Interesse war nur von kurzer Dauer gewesen. Valandra schloss die Augen und zwang die Tränen zurück. Sie hatte geglaubt, nach seiner herben Zurückweisung, seinem Zorn und seinen Lügen könnte sie nichts mehr verletzen. Er hatte ihr Herz und ihre Liebe mit Füßen getreten. Doch die Tatsache, dass er sie nun nicht schnell genug loswerden konnte, tat ihr bis in die Seele weh.
Detlef hatte ihr empört erzählt, dass Ranulf sich nach seiner Rückkehr, nachdem er Pater Ignatius eigenhändig aus der Burg geworfen hatte, im Arbeitszimmer ihres Vaters eingeschlossen hatte, um bis in die frühen Morgenstunden Depeschen an die Nachbarlords zu schreiben. Valandra machte sich keine Illusionen über den Inhalt dieser Schriftstücke. Vermutlich hatte er sie wie ein Stück Vieh jedem angeboten, der bald genug nach Walkmoor Castle reisen konnte.
Valandra wischte sich eine einsame Träne von der Wange. Wie tief wollte er sie noch demütigen?
O ja, sie hatte versucht, ihn zu hassen. Mit aller Inbrunst ihres verletzten Herzens. Doch sie konnte es nicht. Stattdessen wünschte sie sich zurück in die kleine Jagdhütte, zurück in seine Arme. Sie musste tatsächlich den Verstand verloren haben, aber sie liebte ihn noch immer.
Es klopfte an der Tür.
Sie antwortete nicht.
Dalvina schlüpfte zögernd in den Raum und blieb schüchtern einige Schritte hinter Valandra stehen. Ihre ältere Schwester so still und in sich gekehrt dastehen zu sehen brach ihr beinahe das junge Herz.
Ganz krank vor Schuldgefühlen, hatte sie Valandra vor drei Tagen ihre abscheuliche Rolle bei dieser schrecklichen Intrige gestanden. Unter Tränen hatte sie um eine harte Bestrafung gefleht. Niemals würde sie Valandras Reaktion vergessen, dieses kleine, traurige Lächeln, den zärtlichen Kuss, den sie ihr auf die Stirn gehaucht hatte, und das stumme Verstehen in ihren Augen. Valandra hatte ihr vergeben! Jedes böse Wort, jede Gemeinheit. Aber Dalvina konnte sich selbst nicht vergeben.
Sie hatte ihre ältere Schwester verraten. Nicht nur dieses eine Mal, sondern all die Jahre, in denen sie die Lügen ihrer Mutter geglaubt und unterstützt hatte. Sie hatte sich von ihr abgewandt und sie mit Bosheiten überschüttet, weil sie es nicht hatte ertragen können, dass ihr gemeinsamer Vater Valandra mehr liebte als sie. Aber bei allem, was ihr heilig war, hatte sie ihr bestimmt nie wirklich schaden wollen.
„Val? Lord Ranulf erwartet dich zum Abendessen. Er ist ein wenig verstimmt, weil du seine Gäste warten lässt.“
Als Valandra nicht antwortete, trat Dalvina neben
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