Im Zwiespalt der Gefuehle
wertloses Leben zu retten. Ich kann nicht mehr. Ich werde nach England zurückkehren und Lankonien den wahren Lankoniern überlassen. Vergib mir mein Versagen, Vater. « Wieder weinte er.
Jura lehnte sich an den Baum. Auch ihr stiegen Tränen in die Augen. Sie hatte nie geahnt, daß er Selbstzweifel hatte. Wie konnte er sich nur für einen Feigling halten? Schließlich war er allein gegen die Zerna geritten. Wie konnte er nach allem, was er in so kurzer Zeit schon erreicht hatte, daran zweifeln, daß er ein fähiger König war?
Wie habe ich nur an ihm zweifeln können? fragte sie sich selbst. Was mußte er denn noch tun, um sich zu recht-fertigen? Warum war sie nicht von Anfang an auf seiner Seite gewesen? Sie war immer stolz auf ihr logisches Denkvermögen gewesen, aber bei Rowan hatte es versagt, immer hatte sie ihm nur Steine in den Weg gelegt.
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. War es deshalb, weil sie Angst davor hatte, ihn zu lieben? Rowan hatte das gesa gt . Hatte sie ihn etwa nicht aus logischen Erwägungen heraus abgelehnt, sondern wegen eines dummen Gefühls, das man Liebe nannte? Hatte sie ihn schon seit ihrem ersten, leidenschaftlichen Treffen am Fluß geliebt?
Rowan weinte immer noch, und plötzlich wußte Jura, daß sie etwas unternehmen mußte, um ihn daran zu hindern, aus Lankonien fortzugehen. Sie sah auf einmal klar vor sich, was mit ihrem Land geschehen würde, wenn Rowan nicht mehr versuchte, die Stämme zu vereinigen. Wenn Geralt König würde, würde er das Land in einen sinnlosen und grausamen Krieg stürzen.
Und sie selbst… Sie dachte, daß sie ohne ihren Mann sterben würde. Sie hatte sich so sehr an seine sanfte, zärtliche Art gewöhnt — an seine Stärke. Gleich wie sehr sie sich über ihn lustig gemacht oder ihn bekämpft hatte — er war immer stark gewesen. Jetzt erkannte sie, daß er immer an sich gezweifelt hatte. Warum hatte sie ihn nie unterstützt ?
Sie spähte hinter dem Baum hervor und bemerkte Rowans hängende Schultern, seine geknickte Haltung. Sie mußte ihm jetzt helfen.
Aber wie? Eine Engländerin hätte ihn wahrscheinlich in den Arm genommen und liebkost. Zu ihrer Überraschung verspürte Jura den Drang, genau das zu tun. Sie wollte die Arme um ihn legen, damit er sich an ihrer Schulter ausweinen konnte, während sie über sein feines Haar strich.
Er würde sich noch schlechter fühlen, dachte sie. Ihm ihre Zuneigung zeigen und Mitleid beweisen — das wäre das Schlimmste, was sie jetzt tun konnte. Sie mußte etwas unternehmen, damit er wieder an sich selbst glauben konnte.
Rowan war jetzt aufgestanden und blickte auf Keon. Jura spürte wieder Tränen in ihren Augen, als sie Rowans | gramzerfurchtes Gesicht ansah. Er trauerte deshalb so um diesen jungen Zerna, weil er sich um ganz Lankonien kümmerte — nicht nur um die Irial. Thal hatte recht gehabt, als er Rowan im Ausland aufwachsen ließ. Thal hatte recht gehabt, und Jura hatte sich geirrt.
Aber nun mußte sie etwas unternehmen, um ihr Unrecht wiedergutzumachen.
Leise schlich sie davon. Dann drehte sie um und verhielt sich so, als würde sie gerade erst zu ihm kommen. Sie machte eine Menge Lärm, aber Rowan drehte sich nicht zu ihr um, sondern blieb stehen und starrte auf Keons stilles Gesicht.
Sie straffte ihre Schultern. »Was machst du hier? « rief sie streitlustig. »Wir müssen zu den Fearen reiten. «
Rowan drehte sich nicht um. Sie streckte schon die Hand aus, wollte sein Haar berühren — doch dann zog sie sie rasch zurück.
»Was ist das? « fragte sie laut und wies auf Keons Körper. »Trauerst du um diesen Zerna? Oder fürchtest du dich vor Brocain? Wenn es zum Krieg kommt, werden die Irial gewinnen. «
»Es wird keinen Krieg geben«, erwiderte Rowan leise. »Ich werde Brocain mein Leben anbieten. Ich hoffe, das wird ihn zufriedenstellen. «
Jura krümmte sich innerlich, aber sie sagte: »Gut! Dann wird Geralt doch noch König. «
Rowan reagierte nicht.
»Das hätte er von Anfang an sein sollen«, fuhr sie fort. Aber immer noch erfolgte keine Reaktion von Rowan. »Sag mir nur noch eins, bevor du deinen Opfergang antrittst — reiten wir nun zu den Fearen oder nicht? Sollen wir Yaine auf Brita warten lassen? «
»Das ist nicht mehr mein Problem. Ich bin kein Lankonier. «
Das Mitgefühl, das sie für ihn empfand, schwand. Sie runzelte die Stirn. »Das stimmt. Ein Lankonier hätte nie versucht, die Stämme zu einen. Es ist sowieso eine ganz absurde Idee! «
»Vielleicht gelingt es
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