Im Zwiespalt der Gefuehle
einem anderen«, meinte er niedergeschlagen. »Ich war der falsche Mann für diese Aufgabe. «
»Ja, das warst du. Geralt wird viel bessere Arbeit leisten als du. Er wird keine Probleme mit der Vereinigung haben. Er wird nicht die Ursache für den Tod eines unschuldigen Jungen sein! « Sie beobachtete Rowans Gesicht, in das wieder etwas Leben kam.
Er drehte sich um und sah sie an. »Geralt soll die Stämme einen? «
»Ja, natürlich. Er wird Erfolg haben, glaubst du nicht auch? Brita hat seine Fähigkeiten erkannt, und sie weiß, wie stark er ist. Yaine wird das auch erkennen. «
»Brita hat Geralts Fähigkeiten erkannt? « fragte Rowan. »Aber Brita… «
»O ja, ich habe es in ihren Augen gesehen. Sie fürchtet sich vor meinem Bruder. «
»Sie glaubt, sie hat ihn am Bändel. Sie wird diesen dummen Jungen heiraten und über ganz Lankonien herrschen. « Rowans Augen begannen zu funkeln.
»Was geht dich das an? Du wirst dann tot sein, weil du dich für diesen toten Jungen geopfert hast. «
Rowan blickte wieder auf Keon. Sein Gesicht verdüsterte sich. »Ja, das stimmt. Ich bin sicher, daß Geralt ein wundervoller König sein wird. «
»Wenn er siegt«, meinte Jura.
»Siegt? «
»Die Ehe mit einem König hat meine Machtgier geweckt. Jch werde Daire heiraten, und vielleicht werden wir mit Brita um die Herrschaft kämpfen. Vielleicht werde ich ja doch noch Königin von ganz Lankonien. « Sie lächelte. »Ja, die Idee gefällt mir. «
Rowan sah sie an. Aus seinen Augen schwand der bedrückte Ausdruck. Er wandelte sich in Haß. Haß, der auf sie gerichtet war. »Krieg«, flüsterte er. »Ihr Lankonier könnt nur an Krieg und Macht denken. Du würdest deinen eigenen Bruder befehden, nur um an die Macht zu kommen. Tausende von Menschen würden den Tod finden, nur weil du deine egoistischen Wünsche befriedi gen willst. Du scherst dich nicht einen Deut um Lankonien. «
»Und du tust es, was? Du würdest all das, was du begonnen hast, hinter dir lassen, um dich Brocain als Opfer darzubieten! «
»Ich muß es«, erklärte er leise. »Ich habe ihm mein Wort gegeben. Der Schwur eines Ritters ist eine heilige Verpflichtung. «
»Du bist Engländer! « keifte sie ihn an. »Du bist wirklich ein Engländer, und ich bin froh, daß du sterben wirst! Wir brauchen keine Feiglinge wie dich, die nicht beenden, was sie begonnen haben. Geh! Geh zu Brocain. Geh zurück nach England. Geh zum Teufel — mich kümmert es nicht! « Sie drehte sich auf dem Absatz um und stürmte davon.
Sie lief nicht weit, nur bis sie außer Rowans Sichtweite war. Dann blieb sie stehen, und, ehe sie wußte, was sie tat, sank sie auf die Knie und weinte. Es war so, als ob all die Tränen, die sie sich bisher in ihrem Leben versagt hatte, an die Oberfläche stiegen. Ihre Schultern zuckten, ihre Hände preßten sich zusammen. Sie fiel nach vom und weinte lauter. Sie würde sterben, wenn Rowan sich Brocain auslieferte — aber sie konnte es ihm nicht sagen! Er brauchte jetzt kein Mitgefühl, also hatte sie es ihm nicht gegeben. Er hatte ihre Wut gebraucht, aber sie war nicht auf den Haß in seinen Augen gefaßt gewesen.
Nach einer Weile ging sie zurück ins Lager. Die anderen saßen schweigend da. Alles blickte hoffnungsvoll auf, als sie Jura kommen hörten. Aber als sie merkten, daß es nicht Rowan war, senkten sie ihre Blicke.
Sie brauchen ihn ebensosehr wie ich, dachte Jura.
Cilean kam ihr entgegen. Jura wandte ihr Gesicht ab. »Hast du… geweint? « fragte Cilean ungläubig. »Was hast du ihm angetan? «
Jura konnte keinem, noch nicht einmal einer so guten Freundin wie Cilean erzählen, was sie gesehen hatte. Wie konnte ein Lankonier verstehen, daß ein Mann weinte wie ein kleines Kind? Aber sie selbst hatte es verstanden. Bedeutete das, daß sie keine vollwertige Lankonierin war?
»Ich habe nur Rauch in die Augen bekommen«, erwiderte Jura. »Er wird bald kommen. Glaube ich«, fügte sie hinzu.
Es dauerte nicht lange, und Rowan kehrte zurück. Sein Haar war feucht, als ob er gebadet hätte, und er befahl jedem, sich auf den Abritt vorzubereiten. Die Fearen standen abseits. Rowan ging zu ihnen und redete einige Zeit mit ihnen. Jura sah, daß er auf die einzelnen Mitglieder ihrer Gruppe deutete, und sie dachte, daß er ihnen zweifellos ihre Sicherheit mit seinem eigenen Leben garantierte.
Sie beobachtete ihn scharf und entdeckte eine gewisse Leer in seinem Blick, die vorher nicht dagewesen war. Aber es sah so aus, als sei er bereit, wieder
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