Im Zwiespalt der Gefuehle
schon im ersten Lanzengang vom Pferd und kehrte gleich danach, ohne auch nur einen Tropfen Schweiß vergossen zu haben, in sein Studierzimmer zurück.
Williams Söhne protestierten lauthals gegen Rowans Anwesenheit in der Burg, und William beobachtete mehrmals, wie seine dümmlichen Söhne versuchten, durch üble Streiche ihren Vetter zu vergraulen. Sie versteckten Zecken unter seinem Sattel, stahlen seine kostbaren Bücher und lachten ihn vor den Gästen des Hauses aus. Aber Rowan blieb trotz aller Anfechtungen ruhig. Er wehrte sich nie. Das einzige Mal, daß William ihn wirklich zornig sah, war, als Lora um die Erlaubnis bat, einen unbedeutenden Baron, der sich gerade als Gast in der Burg befand, heiraten zu dürfen. Rowan machte Lora eine entsetzliche Szene. Er sagte ihr, sie wäre schließlich Lankonierin und würde eines Tages in ihr Heimatland zurückkehren. William war über diesen Ausbruch sehr gekränkt. Nicht etwa, weil Rowan einen für ihn absolut ungewöhnlichen Zorn gezeigt hatte, sondern weil er soviel Wert auf seine lankonische Herkunft zu legen schien. William fühlte sich betrogen, als ob all seine Liebe, die er nun mal für den Jungen hegte, zurückgewiesen worden sei. Also half William Lora bei der Durchsetzung ihrer Heiratspläne. Doch nach nur zweijähriger Ehe starb der junge Baron, so daß Lora zusammen mit ihrem Söhnchen Philip in das Haus ihres Onkels zurückkehrte. Rowan empfing sie lächelnd und mit ausgebreiteten Armen. »Jetzt werden wir bald heimreisen können«, verkündete er glücklich, während er den Arm um Lora und seinen kleinen Neffen legte.
Jetzt stand William also da und betrachtete Rowan. Fünfundzwanzig Jahre waren verstrichen, seit Williams schöne Schwester ein goldhaariges Baby zur Welt gebracht hatte, und während dieser Zeit war Williams Liebe für Rowan immer mehr gewachsen. Der junge Mann bedeutete ihm mehr als sein Leben… Doch das war nun vorbei, denn 3 draußen vor dem Tor standen einhundert wildaussehende lankonische Krieger. Sie saßen finster auf ihren kurzbeinigen, zähen Pferden und waren bis an die Zähne bewaffnet. Allem Anschein hatten sie nicht im Sinn zu kämpfen. Ihr Hauptmann hatte William zugerufen, sie wären gekommen, um Thals Kinder zu holen. Thal läge auf dem Sterbebett, und Rowan sei sein rechtmäßiger Erbe.
Williams erster Impuls war, erbitterten Widerstand zu leisten, bis zum letzten Atemzug wollte er gegen diese Barbaren kämpfen — doch es war anders gekommen. Williams ältester Sohn hatte seinen unschlüssigen Vater einfach zur Seite geschoben und die Lankonier mit offenen Armen willkommen geheißen.
Schweren Herzens ging William zu Loras Kemenate, in der Rowan gerade eine Handschrift studierte. Der inzwischen uralte Feilan, Rowans Lehrer, warf einen prüfenden Blick auf Williams schmerzverzerrtes Gesicht, dann stand er mühsam auf, schleppte sich zu Rowan, beugte ein Knie und sagte mit gesenktem Kopf: »Lang lebe König Rowan. « Langsames Begreifen erhellte das männliche Gesicht des Jünglings. Er neigte dankend den Kopf, dann sah er mit leuchtenden Augen zu Lora hinüber, die ihre Stickerei in den Schoß gelegt hatte. »Es ist soweit«, sagte Rowan leise. »Wir dürfen endlich nach Hause. «
William stahl sich leise aus der Tür, damit niemand seine Tränen bemerkte…
Lankonien
Jura stand regungslos in dem knietiefen Wasser. Sie zielte mit ihrem leichten Speer auf einen träge dahinschwimmenden Fisch und wartete gespannt auf den richtigen Augenblick, um zuzustoßen. Die Sonne ging gerade auf und gab Ihr genug Licht, um die Silhouette der tarnovischen Berge im Hintergrund und die schattenhaften Fischleiber im Bach zu erkennen. Sie hatte die weiten Hosen, die zu ihrer Uniform gehörten, abgelegt. Sie stand nun nur mit der oberschenkellangen bestickten Tunika, die ihre Rangabzeichen trug, bekleidet im Wasser. Der Gebirgsbach war eisig kalt, doch sie war ihr ganzes Leben lang gegen solche Unannehmlichkeiten abgehärtet worden.
Plötzlich hörte sie, wie sich zu ihrer Linken jemand an sie heranschlich… Nach dem leichten Tritt zu urteilen mußte es sich um eine Frau handeln. Jura zeigte durch keine Bewegung, daß sie etwas bemerkt hatte. Doch ihre Muskeln strafften sich, den Speer hielt sie immer noch über der rechten Schulter, und sie war bereit, sofort herumzuwirbeln, um sich gegen den Eindringling wehren zu können.
Aber dann lächelte sie still. Es war Cilean. Cilean, ihre Freundin und Lehrmeisterin, schlich lautlos —
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