Im Zwiespalt der Gefuehle
Jura zum ersten Mal getroffen hatte. Schweigend schritt er durch die Dunkelheit. Da vernahm er zornige Stimmen. Er ging so nahe heran, daß er sie deutlich verstehen konnte.
»Du hast mich angelogen, Jura«, warf ihr Daire vor. »Wie oft hast du ihn heimlich getroffen? Er hat mir erzählt, daß du zu ihm gekommen bist. «
»Das habe ich nicht getan«, verteidigte sich Jura. Ihre Stimme klang brüchig, als ob sie die Tränen zurückhalten müßte. »Ich bin ihm zweimal zufällig begegnet. Und ein mal hat er mich durch einen Trick zu einem Stelldichein gelockt. Ich wollte ihn nie treffen! Du weißt doch, wie sehr ich ihn immer gehaßt habe. Er gehört nicht nach Lankonien. Geralt sollte König werden. Er hat kein Recht —«
»Es scheint eher so zu sein, daß er jetzt alle Rechte hat! « stellte Daire bissig richtig. »Er hat das Recht, dich zu berühren und in den Armen zu halten. Hast du deswegen so hart trainiert? Warst du deswegen im Wettkampf so ehrgeizig? Damit du ihn gewinnen und sein Bett teilen kannst? Beherrscht deine Begierde nicht nur deinen Körper, sondern auch deinen Kopf? Wirst du Tag und Nacht verrückt nach ihm sein und dein Volk völlig vergessen? Wirst du uns verraten, weil deine Leidenschaft dich beherrscht? «
»Nein! « schrie Jura auf. »Ich bin keine Verräterin! Ich begehre ihn nicht einmal. « Sie log, und sie wußte es. Doch sie konnte es nicht ertragen, diesen Mann, der seit so vielen Jahren ihr Freund war, zu verlieren. Immer, wenn Thal böse auf sie gewesen war, hatte Daire sie versteckt und Thal angelogen. »Er nimmt mich einfach. Ich habe seine Berührungen nie gewollt. «
»Ha! Wirst du das auch noch behaupten, wenn er heute abend mit dir zu Bett geht? «
»Ich bete zu Gott, daß ich nicht mit ihm schlafen muß«, erwiderte Jura.
»Dein Wunsch soll erfüllt werden«, erklang Rowans zornige Stimme. Er trat aus dem Gebüsch ins helle Mondlicht. Dann zog er sein Schwert. »Und Ihr«, sagte er zu Daire, »sollt sterben, weil Ihr meine Frau berührt habt. «
Auch Daire zog sein Schwert.
»Nein! « kreischte Jura und griff Rowan an. »Tut ihm nichts. Ich werde tun, was immer Ihr verlangt. «
Rowan stieß wütend hervor: »Von dir verlange ich überhaupt nichts. « Er stieß sie beiseite wie ein lästiges Insekt. Jura landete ein paar Meter entfernt im feuchten Gras.
Sie beobachtete, wie sich die Männer belauerten. Jura wünschte, sie würde einen Weg finden, um ihnen Einhalt zu gebieten. Sie zog ihr Messer und wollte sich gerade zwischen die Männer werfen, als eine schwere Hand auf ihre Schulter fiel und sie zwang sitzenzubleiben. Sie sah auf und erkannte Xante.
Ganz ruhig trat Xante zwischen die beiden Männer. Er sah Rowan ins Gesicht. »Ihr habt das Recht, das Leben dieses Mannes zu fordern, Mylord«, meinte Xante. »Aber ich flehe Euch an — tut es nicht. Er verlor heute die Frau, die ihm versprochen war… «
»Es ist mehr geschehen als das«, fauchte Rowan. »Geht mir aus dem Weg! «
»Nein, Sire. Mehr ist nicht geschehen«, erwiderte Xante. Er rührte sich nicht. »Es war kein Verrat im Spiel. Ich sehe nur zwei heißblütige junge Dachse, die sich um eine Frau streiten! «
Ganz plötzlich wurde Rowan klar, was er da eigentlich tat. Er tat genau das, was Feilan immer gefürchtet hatte — er benahm sich wie ein gefühlsbetonter Engländer und nicht wie ein Lankonier. Unter allen Umständen mußte er sich wieder in die Gewalt bekommen. Die Narbe auf seinem Rücken schmerzte wie an dem Tag, als er von Feilan gebrandmarkt worden war. Er straffte sich und schob sein Schwert in die Scheide. »Ihr habt recht, Xante. Daire, die Frau gehört Euch. Ich will mich ihr nicht aufdrängen. Nehmt sie. «
Die drei anderen rührten sich nicht, als Rowan wieder auf sein Pferd zuging.
Xante faßte sich als erster. »Sie ist Eure Frau, Mylord. Ihr könnt sie nicht so einfach verstoßen. Das Volk wäre darüber so verärgert, daß es —«
»Zum Teufel mit dem Volk! « brüllte Rowan. »Die Frau haßt mich! Erzählt dem Volk, daß der letzte Kampf unfair verlaufen ist. Ich werde Cilean heiraten. Erklärt es irgendwie! «
»Dann werde ich der erste sein, der Euch zur Grenze geleiten wird«, donnerte Xante. »Ihr könnt nicht mit Euren englischen Manieren nach Lankonien kommen und auf uns herunterschauen! Ihr wolltet diese Frau, Ihr wolltet das Honorium. Und jetzt werdet Ihr Euch zwischen England und Lankonien entscheiden müssen! Entweder Eure englischen Sitten oder unsere lankonischen
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