Im Zwiespalt der Gefuehle
könnte Dinge von dir verlangen, die du sonst niemals tun würdest! Du hast doch nur das Honorium einberufen, um sie zur Frau zu bekommen. Die arme, süße Cilean liegt jetzt schwerverwundet da, weil du diese Frau unbedingt haben wolltest! Wer wird sonst noch sein Blut vergießen müssen — nur wegen deiner Leidenschaft? Philip und mich kann sie nicht leiden. Was wirst du tun, wenn sie von dir fordert, daß wir gehen? «
»Hör auf«, befahl Rowan. Er stand auf und durchmaß den Raum mit langen Schritten. Es lag viel Wahrheit in dem, was Lora eben gesagt hatte. Er wußte, daß Jura Macht über ihn hatte — aber er wußte nicht, wie sie diese, Macht nutzen würde.
»Ich kann nicht glauben, daß sie meinen Tod wünscht«, flüsterte er. »Sie erwidert meine Gefühle. « Zweifel, dachte er. Zweifel verfolgen mich mein ganzes Leben. Was Jura anbetraf hegte er eigentlich keine Zweifel. Juras Zuneigung für ihn und seine Liebe für sie waren die einzig realen Dinge in seinem Leben, seit er Lankoniens Grenzen überschritten hatte.
Lora schnitt eine Grimasse. »Rowan, ich bin eine Frau. Ich weiß, wie leicht man Männer hinters Licht führen kann. Jeder Mann glaubt, er wäre die Krone der Schöpfung. Immer hält er sich für die einzige Liebe einer Frau. Aber Jura liebt Daire und ihren Bruder. Nur ihretwegen hat sie dich geheiratet. Sie wird dich aus dem Weg räumen. Wenn du erst einmal tot bist, wird sie ihren geliebten Daire heiraten, und Geralt wird König. «
»Ich glaube dir kein Wort«, erwiderte Rowan heftig. »Die Frau… mag mich. «
»Wenn es so ist — wo steckt sie dann? « rief Lora. »Warum ist sie nicht hier, bei dir? Ich sage dir — sie ist bei ihrem Liebsten! Wahrscheinlich beraten sie, wie sie vorgehen wollen. «
Rowan starrte seine Schwester an. Der Nebel in seinem Kopf begann sich zu lichten. Wenn das wahr wäre, was Lora eben gesagt hatte… »Wo ist sie? « fragte er leise.
»Ich weiß es nicht«, antwortete Lora. »Ich habe Montgomery gebeten, nach ihr zu suchen, aber er hat sie nicht gefunden. Daire hat die Stadt verlassen, als Jura hineingetragen wurde. Vielleicht ist sie ihm nachgeritten. «
Rowan erinnerte sich an die verborgene Lichtung, auf der er Jura zum ersten Mal gesehen hatte. Vielleicht war sie dorthin gegangen. Er wandte sich zur Tür.
»Wohin gehst du? « fragte Lora ängstlich.
Rowan blickte sie kühl an: »Ich werde meine Frau suchen. «
»Und wenn Daire bei ihr ist? « flüsterte Lora.
»Das wird nicht der Fall sein«, erwiderte er fest und verließ den Raum.
Lora blieb einen Moment lang wie erstarrt stehen. Dann dachte sie daran, was geschehen würde, wenn Rowan die Frau, die er liebte, in den Armen eines anderen Mannes fand. Sie lief aus dem Zimmer, um Xante zu suchen. Xante würde wissen, was zu tun war.
»Ihr seid ein Dummkopf, und Ihr habt Euch in etwas eingemischt, was Euch nichts angeht«, meinte Xante, als Lora ihm einiges von dem mitteilte, was sie Rowan erzählt hatte. Er sattelte sein Pferd. »Jura ist keine Mörderin, und sie ist noch Jungfrau. Sie betrügt Rowan nicht mit Daire. Ihr hättet das Rowan nie erzählen sollen! Das stürzt ihn nur in Zweifel. «
»Er ist schließlich mein Bruder. Ich muß ihn beschützen. «
»So wie Geralt Juras Bruder ist — aber sie würde genausowenig Rowan vergiften, wie Ihr Geralt umbringen würdet. «
»Ihr kennt die Frauen nicht so gut wie ich«, erwiderte Lora gekränkt.
»Mag sein. Aber ich kenne Jura. « Er hielt inne und sah Lora an, die ängstlich an ihrer Unterlippe knabberte. Xante zog den Sattelgurt fest. »Habt Ihr Euren verstorbenen Mann ebenso sehr geliebt wie Rowan? «
Verblüfft antwortete sie: »Ja. «
Xante erwiderte nichts, während er sein Pferd bestieg. »Ich glaube, ich weiß, wohin Jura gegangen ist. « Er blickte auf sie nieder. »Geht ins Haus. Ich werde Euren Bruder vor sich selbst schützen. «
In Rowans Kopf flossen die Bilder, die Lora ihm eingegeben hatte, ineinander. Seit ihrem ersten Treffen hatte er gewußt, daß er Jura liebte. Keine andere Frau hatte ihn je so gereizt wie sie — natürlich war es Liebe! Aber hatte sie ebenso empfunden? Er hatte immer angenommen, daß es so wäre. Aber hatte sie es ihm jemals gesagt? Als er versuchte, sich ihre flüchtigen, leidenschaftlichen Begegnungen ins Gedächtnis zu rufen, konnte er sich so gut wie gar nicht daran erinnern, daß sie überhaupt etwas gesagt hatte.
Er stieg ab, als er noch ein gutes Stück von dem Ort entfernt war, an dem er
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