Im Zwiespalt der Gefuehle
Oder möchtest du, daß ich ihn bekomme? Möchtest du mich in seinem Bett sehen? Soll ich ihn berühren und liebkosen? «
Cilean hob ihren Stock, um zuzuschlagen. Aus reinem Instinkt und jahrelanger Übung heraus, hob Jura ihrerseits die Waffe, um sich zu schützen. Das Aufeinanderprallen der Stöcke schüttelte Cileans Körper. Ihre Hand sank herunter, als Juras Stock sie an der Schläfe streifte. Das war zuviel für Cileans wunden Körper. Ohnmächtig brach sie zu Juras Füßen zusammen.
Für einen Augenblick herrschte Totenstille. Sowohl Jura als auch die Zuschauer blickten fassungslos auf die bewußtlose Cilean. Als die Menge »Jura! Jura! Jura! « schrie, sank Jura auf die Knie.
»Cilean«, schrie Jura laut, um den Lärm zu übertönen. »Wach auf! Du mußt gewinnen! « Sie ohrfeigte die Freundin, doch Cilean kam nicht zu sich. Immer wieder rief Jura verzweifelt: »Cilean! «
Die Zuschauer liefen auf das Feld, und Jura wurde von Cilean fortgerissen.
»Nein! Nein! « schrie Jura. »Sie wurde doch nur ohnmächtig. Es gab doch überhaupt keinen Kampf. Cilean hat nicht aufgegeben. Ich habe nicht gewonnen! Cilean ist die Siegerin! Cilean, wach doch auf und sage es ihnen! «
Niemand hörte ihr zu. Sie wurde von ein paar Männern auf die Schultern gehoben. Rekrutinnen der Irial liefen herbei, um Cilean zu schützen. Sie jubelten, weil eine Irial den Sieg davongetragen hatte.
Jura bat und flehte, damit die Männer sie wieder herunterließen. Doch ihr wurde so viel Beachtung geschenkt wie einem Getreidesack, und sie wurde genauso behandelt. Der Jubel war so groß, daß sie sich kein Gehör verschaffen konnte.
Als sie die Stadtmauern erreichten war Jura vollkommen außer sich. Sie konnte sich niemandem verständlich machen, aber — Cilean hatte gewonnen, nicht sie! Cilean mußte Königin werden.
Im Torgang begegnete sie Daire und Thals Tochter Lora. Sie waren zu Pferde und schienen ihr zu grollen.
»Ich habe nicht gewonnen«, rief Jura Daire zu, doch der Lärm war so groß, daß sie nicht einmal selbst ihre Worte verstand. Sie versuchte herunterzuspringen, um zu Daire zu laufen — aber die Männer hielten sie fest.
Als sie die innere Mauer und Thals Schloß erreichten, war sie längst verstummt. Das alles geschah nicht wirklich. Es mußte ein Alptraum sein.
Thal stand in der Tür. Xante stützte ihn. Thal hob seine knochige Hand. Die Menge verstummte sofort.
»Willkommen, Tochter«, sagte er. »Dein Bräutigam erwartet dich im Haus. «
»Nein! « durchbrach Juras Stimme die Stille. »Cilean ist die Gewinnerin, ich —«
Thals Gesicht wurde hart, aber es war Xante, der ihr das Wort abschnitt. Er donnerte: »Demut und Bescheidenheit sind treffliche Eigenschaften für eine Königin. «
Die Menge bejubelte seine Worte. Die Männer trugen Jura ins Schloß, wo sie von einem Priester und Prinz Rowan erwartet wurde.
Der Engländer stand da und starrte sie an wie ein Idiot, während sich Jura vor den grabschenden Händen in Sicherheit brachte, die sie betasteten. Es wurde ihr keine Zeit gegeben, um zu baden oder die Kleidung zu wechseln. Sie wurde einfach neben den Thronräuber gestellt. Sofort begann der Priester mit der Trauzeremonie. Sie wollte sich weigern, wollte Rowan sagen, daß er kein Recht dazu hatte, sich in ihrem Land aufzuhalten — doch dann blickte sie auf die Menge. Die Leute waren erregt. Sie tranken schon seit drei Tagen und wollten nun dem ordnungsgemäßen Abschluß der Feierlichkeiten beiwohnen.
Der Priester sah Jura an. Langsam richteten sich alle Blicke auf sie. Jura schluckte. Wenn sie sich jetzt umdrehte und hinausging, dann könnte das ungeheure Konsequenzen nach sich ziehen. Die verschiedenen Stämme könnten meinen, daß dieser Wettbewerb eine Farce gewesen sei — und wenn dieser Mann, Rowan, die Stämme führen wollte, dann würde er das nie erreichen, wenn ihn eine Frau am Altar zurückwies. Man würde ihn auslachen. Sie hatte am Wettkampf teilgenommen und eine Chance auf den Sieg wahrgenommen.
»Jura«, meinte Rowan leise. »Möchtest du mich haben oder nicht? «
Sie schaute ihn an. Seine strahlendblauen Augen schienen bis in ihr Innerstes sehen zu können.
Sie wandte sich wieder dem Priester zu. »Ich nehme ihn zum Mann«, flüsterte sie heiser.
Ein ohrenbetäubender Beifallssturm brach los. Jura konnte den Priester nicht mehr verstehen. Rowan zog sie in die Arme. Er flüsterte ihr etwas zu, aber sie konnte ihn nicht hören. Als er sie küssen wollte, drehte sie den Kopf zur
Weitere Kostenlose Bücher