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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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brauchen unsere Hilfe.«
    »Früher bist du vernünftiger gewesen.«
    »Früher? Was soll das heißen? Du weißt überhaupt nichts von mir, und deshalb kannst du dir kein Urteil erlauben. Wenn du nicht mitkommen willst..., dann scher dich zum Teufel!«
    Inzwischen hatte Gentle den Doeki ganz umgedreht und trieb ihn an. Unterwegs waren ihm nur drei- oder viermal Abzweigungen aufgefallen, und er zweifelte nicht daran, daß er ohne große Probleme zum Dorf zurückfinden würde. Und wenn er recht hatte, wenn tatsächlich Beatrix und kein anderer Ort brannte... Dann diente die Rauchsäule als Wegweiser. Pie entschied sich schließlich, ihm zu folgen, und damit wurde er Gentles Erwartungen gerecht. Es freute den Mystif, ›Freund‹
    genannt zu werden, doch tief in seiner Seele kam er einem Sklaven gleich.
    Schweigen begleitete sie während des Rückwegs. Nach dem letzten Wortwechsel war es eigentlich nicht überraschend, daß Gentle und Pie still blieben. Nur einmal - als sie eine Anhöhe erreichten, die ihnen einen neuerlichen Blick zu den Vorbergen und dorthin gewährte, wo sich ein ganz bestimmtes Tal zwischen den Hügeln verbarg - murmelte der Mystif:
    »Warum muß es immer Feuer sein?«
    Daraufhin wurde Gentle klar, warum Pie gezögert hatte.
    Plötzlich verstand er ihn.
    Jenes Chaos, das sie in Beatrix erwartete... Es erinnerte den Mystif an die Flammen, die seine adoptierte Familie verbrannt hatten - eine persönliche Tragödie, über die Gentle und Pie bisher nicht gesprochen hatten.
    »Vielleicht sollte ich allein zum Dorf reiten«, sagte Zacharias.
    305

    Pie'oh'pah schüttelte den Kopf. »Entweder reiten wir gemeinsam - oder niemand von uns kehrt zurück.«
    Von der Anhöhe aus kamen sie schneller voran. Der Pfad hielt weniger Hindernisse bereit und war nicht mehr so steil; darüber hinaus kroch nun erstes Licht über den Himmel - die längst überfällige Morgendämmerung begann. Als sie schließlich den Ort erreichten, schimmerte das Firmament wieder wie ein grüner und goldener Pfauenschweif - ein Glanz, durch den die Verheerung im Dorf noch schrecklicher wirkte.
    An einigen Stellen brannte Beatrix nach wie vor, aber inzwischen hatte das Feuer die meisten Häuser zerstört und auch die Birken- und Bambushaine in Asche verwandelt.
    Gentle hielt seinen Doeki an und beobachtete das Tal. Nirgends rührte sich etwas. Wer auch immer Beatrix vernichtet hatte -
    die dafür Verantwortlichen waren weitergezogen.
    »Gehen wir von hier aus zu Fuß?« fragte er.
    »Das erscheint mir angeraten.«
    Sie banden die Tiere an und näherten sich dem Dorf. Schon von weitem hörten sie das Klagen - ein aus dem Rauch dringendes Schluchzen, das Gentle an jene Geräusche erinnerte, die er vor vielen Stunden am Hang gehört hatte. Er wußte: Was sich nun seinem Blick darbot, war in gewisser Weise eine Konsequenz der seltsamen Nicht-Begegnung am vergangenen Abend. Es war ihm gelungen, der Aufmerksamkeit des Beobachters zu entgehen, doch der Fremde schien seine Präsenz gespürt oder zumindest geahnt zu haben - was genügte, um diese Katastrophe nach Beatrix zu bringen.
    »Es ist meine Schuld«, sagte Gentle leise. »Gott steh mir bei... Es ist meine Schuld.«
    Er wandte sich dem Mystif zu, der mitten auf der Straße stand, das Gesicht bleich und ausdruckslos.
    »Bleib hier«, fügte er hinzu. »Ich sehe nach, ob die Familie überlebt hat.«
    306

    Pie reagierte nicht, aber Gentle vermutete trotzdem, daß er ihn verstanden hatte. Er wartete keine Antwort ab und lenkte seine Schritte zum Haus ihrer Gastgeber. Beatrix war nicht von Feuer allein zerstört worden. Irgend etwas hatte manche Häuser zerschmettert, die Bäume daneben entwurzelt.
    Glücklicherweise lagen nirgends Tote, und Zacharias begann zu hoffen, daß Coaxial Tasko imstande gewesen war, die Dorfbewohner fortzuführen und in Sicherheit zu bringen, bevor die Angreifer eintrafen. Diese Hoffnung mußte er aufgeben, als er zu der Stelle gelangte, wo das Haus der Freunde gestanden hatte. Es bildete nur mehr einen Schutthaufen, so wie alle anderen, und als sich die dichten Rauchwolken teilten - sah er, daß vor den qualmenden Ruinen die freundlichen Bürger lagen.
    Ihre Leichen bildeten einen großen Haufen, mehr als zwei Meter hoch. Einige schluchzende Überlebende suchten in dem Durcheinander aus zerfetzten Körpern nach Freunden und Verwandten. Manche von ihnen zerrten an Gliedmaßen, die sie zu erkennen glaubten; andere hockten im blutigen Staub und vergossen Tränen des

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