Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
Vom Netzwerk:
blieb. Kummer erfaßte ihn, doch er verdrängte dieses Empfinden sofort wieder - wenigstens waren sie jetzt besser für die Reise durchs Gebirge gerüstet.
    »Warum hat sich die Einstellung der Dorfbewohner uns gegenüber so sehr geändert?« fragte Gentle, als sie die Hügelkuppe erreichten. Hier beschrieb der Pfad eine weite Kurve und führte fort vom Anblick der ruhigen, friedlichen Straßen des Ortes Beatrix.
    »Ein Bataillon der Autokraten-Armee überquert die Berge und ist auf dem Weg nach Patashoqua. Tasko fürchtete, daß die Präsenz von Fremden im Dorf den Soldaten einen Vorwand dafür liefern könnte, Beatrix zu plündern.«
    »Am Hang habe ich ein seltsames Brummen gehört«, murmelte Gentle. »Jetzt kenne ich die Ursache.«
    »Ja, jetzt kennst du die Ursache.«
    »Und ich habe jemanden am gegenüberliegenden Hügel gesehen. Er hielt nach mir Ausschau. Das heißt... Nicht nach mir, sondern nach jemandem. Deshalb gab ich keine Antwort, als du nach mir gerufen hast.«
    »Irgendeine Ahnung, wer es gewesen sein könnte?«
    Gentle schüttelte den Kopf. »Ich habe nur den Blick gespürt.
    Und eine schemenhafte Gestalt gesehen. Wer weiß? Wenn ich jetzt davon erzähle... Es klingt für mich selbst absurd.«
    302

    »Jene Geräusche, die ich gehört habe, waren alles andere als absurd. Ich halte es für das Beste, diese Region so schnell wie möglich zu verlassen.«
    »Ganz meine Meinung.«
    »Tasko hat mir gesagt, daß im Nordosten von hier die Grenze der Dritten ein ganzes Stück in diese Domäne hereinreicht - mehr als tausend Kilometer weit. Wir könnten unsere Reise erheblich verkürzen, wenn wir uns dorthin wenden.«
    »Klingt gut.«
    »Es bedeutet allerdings, daß wir über den Hohen Paß müssen.«
    »Das klingt nicht so gut.«
    »Wir kämen schneller voran.«
    »Unter Umständen wäre Schnelligkeit aber vielleicht fatal«, sagte Gentle. »Ich möchte Yzordderrex sehen. Und ich lege keinen Wert darauf, in den Jokalaylau zu erfrieren.«
    »Wir nehmen also den Umweg?«
    »Das schlage ich vor.«
    »Dadurch verlängern wir unsere Reise um zwei oder drei Wochen.«
    »Und unser Leben um einige Jahre«, erwiderte Gentle.
    »Als hätten wir nicht schon lange genug gelebt«, kommentierte Pie.
    »Ich habe immer folgenden Standpunkt vertreten«, sagte Gentle: »Man kann weder lange genug leben, noch zu viele Frauen lieben.«
    5
    Die Doeki waren gehorsame und trittsichere Reittiere, die immer gelassen blieben, ganz gleich, ob der Pfad aus glitschigem Schneematsch oder Staub und Kieselsteinen bestand. Außerdem ignorierten sie die tiefen Schluchten direkt neben dem Weg ebenso wie die reißenden Flüsse, deren kalte 303

    Fluten gelegentlich in unmittelbarer Nähe tosten. Die ganze Zeit über blieb es dunkel: Zwar verging eine Stunde nach der anderen, und die beiden Reiter glaubten die Morgendämmerung nahe, aber das Firmament blieb finster.
    »Ist es möglich, daß die Nächte hier oben länger dauern als unten im Bereich der Straße?« fragte Gentle.
    »Das scheint der Fall zu sein«, erwiderte Pie. »Mein Darm teilt mir mit: Die Sonne hätte schon vor Stunden aufgehen sollen.«
    »Benutzt du immer deinen Darm, um die Zeit zu messen?«
    »Er ist zuverlässiger als dein Bart«, meinte Pie.
    »Wo wird es zuerst hell? Vorausgesetzt, es bleibt nicht immer dunkel.« Gentle richtete sich im Sattel auf und beobachtete den Horizont. Als er den Hals reckte, um in die Richtung zu sehen, aus der sie kamen - entrang sich ein schmerzerfülltes Stöhnen seiner Kehle.
    »Was ist los?« Der Mystif zügelte seinen Doeki und folgte Gentles Blick.
    Die Antwort auf Pies Frage gab eine zwischen den Hügeln emporwachsende Säule aus schwarzem Rauch; unten gesellte sich ihr der düstere Widerschein von Flammen hinzu. Gentle stieg ab und erkletterte einige Felsen, um festzustellen, wo das Feuer wütete. Schon nach kurzer Zeit kam er schwitzend und keuchend zurück.
    »Wir müssen umkehren«, brachte er hervor.
    »Warum?«
    »Beatrix brennt.«
    »Woher willst du das wissen? Die Entfernung ist ziemlich groß.«
    »Ich weiß es aber, verdammt! Beatrix brennt! Wir müssen umkehren.« Er schwang sich auf den Rücken seines Doeki und zwang das Tier herum.
    »Warte«, sagte Pie. »Um Himmels willen, warte!«
    »Wir müssen den Leuten helfen«, stieß Gentle hervor. »Sie 304

    haben uns gut behandelt.«
    »Weil sie wollten, daß wir den Ort verlassen!« hielt ihm Pie entgegen.
    »Jetzt ist es zum Schlimmsten gekommen, und die Bewohner des Dorfes

Weitere Kostenlose Bücher