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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Entsetzens und der Verzweiflung.
    Gentle stolperte um den Haufen herum und musterte die Trauernden. Ein junger Mann erschien ihm vertraut. Er hatte ihn beim Marionettentheater gesehen, und nun hielt er eine Ehefrau oder Schwester in den Armen, ihr Leib so leblos wie der einer Puppe. Eine Überlebende betastete die einzelnen Leichen und rief immer wieder einen Namen. Zacharias wollte ihr helfen, aber sie schrie ihn mit hysterisch schriller Stimme an und forderte ihn auf, sie nicht anzurühren und zu verschwinden. Als er sich umdrehte, entdeckte er Efreet. Der Junge lag auf dem Haufen und starrte mit offenen Augen ins Leere; ein Stiefel oder der Kolben eines Gewehrs hatte ihm den Unterkiefer zertrümmert. Gentle erinnerte sich an den Enthusiasmus des Jungen, an seine Freude über den Besuch aus Yzordderrex... Aus einem Reflex heraus ballte Zacharias die Fäuste. In diesen Sekunden verdrängte ein Wunsch alle 307

    anderen Empfindungen: Er wollte Efreets Mörder zur Rechenschaft ziehen, es ihnen heimzahlen. Der Odem des Tötens zischte in seiner Kehle, verlangte grausame Unbarmherzigkeit.
    Erneut blickte er zu dem Leichenhaufen und suchte dort nach einem Ziel für seinen Zorn, nach jemand, dessen tote Hand eine Waffe umklammerte, jemand in Uniform - ein Feind. Nie zuvor hatte er auf diese Weise gefühlt, aber er hatte auch nie über jene Kraft verfügt, die nun in ihm brodelte.
    Besser gesagt: Sie war immer in ihm gewesen, wenn man den entsprechenden Auskünften Pies Glauben schenken durfte, doch nun wußte er von ihrer Existenz. Die Zerstörung von Beatrix, der schreckliche Tod vieler Dorfbewohner - das alles versetzte Gentle in äußerste Wut. Doch es gab auch Balsam für ihn: Er konnte das Leid in gerechte Strafe verwandeln; mit Lunge, Hals und Hand war er imstande, der Schuld das Leben zu nehmen.
    Zacharias wandte sich von dem Haufen ab, dazu bereit, bei der ersten Gelegenheit in die Rolle des Henkers zu schlüpfen.
    Er folgte dem Verlauf der kurvenreichen Straße, bis ihm eine Kriegsmaschine des Feindes den Weg versperrte. Abrupt blieb er stehen und rechnete damit, daß der Apparat den Blick stählerner Augen auf ihn richtete. Es handelte sich um einen perfekten Todesboten, gepanzert wie ein Krebs, die Räder mit Dornen und langen, sichelförmigen Messern ausgestattet, aus dem Turm ragten die Läufe automatischer Waffen. Doch dieser Bote des Todes war selbst gestorben. Rauch kräuselte aus dem Turm; das Feuer hatte den Fahrer erwischt, als er aus dem Bauch des Panzerwagens klettern wollte. Ein kleiner, eigentlich unbedeutender Erfolg der Verteidiger - aber er bewies, daß solche Maschinen nicht unbesiegbar waren. Dieses Wissen mochte eines Tages dazu beitragen, nicht ganz zu verzweifeln. Gentle kehrte der Maschine den Rücken zu, als er seinen Namen hörte. Tasko trat hinter dem qualmenden Wagen 308

    hervor: das Gesicht blutverschmiert, die Kleidung zerrissen.
    »Schlechtes Timing, Zacharias«, sagte er. »Sie haben das Tal zu spät verlassen. Und jetzt sind Sie zu früh zurückgekehrt.«
    »Warum ist Beatrix zerstört worden?«
    »Der Autokrat braucht keine besonderen Gründe.«
    »Er war hier?« fragte Gentle. Sein Herz klopfte schneller, als er sich vorstellte, daß der Schlächter von Yzordderrex höchstpersönlich das Dorf besucht hatte.
    »Wer weiß?« erwiderte Tasko. »Niemand kennt sein Gesicht. Vielleicht war er gestern hier und hat die Kinder gezählt - ohne daß ihn jemand bemerkte.«
    »Wo ist Larumday?«
    »Sie liegt irgendwo in dem Haufen.«
    »Jesus...«
    »Sie wäre ohnehin keine gute Zeugin gewesen. Der Kummer brachte sie um den Verstand. Der Feind ließ nur jene Leute am Leben, die am besten von dem hiesigen Grauen berichten können. Das Grausame braucht Zeugen, Zacharias.
    Überlebende, die davon erzählen...«
    »Die Zerstörung von Beatrix ist eine Warnung?« fragte Gentle fassungslos.
    Tasko schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was sich die Angreifer dabei gedacht haben, welche Ziele sie anstreben«, erwiderte er.
    »Vielleicht müssen wir das herausfinden, um ihnen Einhalt gebieten zu können.«
    »Ich sterbe lieber, als solchen Abschaum zu verstehen. Wenn Sie sich für solche Dinge interessieren, wenn Sie den Gestank des Bösen riechen wollen... Gehen Sie nach Yzordderrex. Dort begann die Fäulnis.«
    »Ich möchte hier helfen«, sagte Gentle. »Kann ich nicht irgend etwas tun?«
    »Sie können Ihre Reise fortsetzen und uns unserem Kummer überlassen.«
    309

    Nie zuvor hatte Gentle

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