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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Estabrook zu sehen. Aber der Rufer existierte gar nicht, und der Name klang plötzlich fremd: Niemand hatte sie jemals Peachplum genannt.
    Unbehagen vibrierte in ihr, und sie beschloß, sich wieder Charlie hinzuzugesellen, in die Realität zurückzukehren. Er befand sich in einem Raum, der sicher einmal als Ballsaal gedient hatte. Die eine Wand bestand aus bis zur Decke emporreichenden Fenstern, durch die man über Terrassen und Gärten bis zu den Resten eines Aussichtstürmchens sehen konnte. Neben Estabrook blieb Judith stehen und hakte sich bei ihm ein. Ihrer beider kondensierender Atem bildete eine Wolke und schien im Sonnenschein zu glitzern.
    »Früher muß es hier sehr schön gewesen sein«, sagte Jude.
    »Bestimmt.« Charlie schniefte. »Aber die Schönheit ist vergangen und verloren.«
    »Man könnte das Gebäude restaurieren, das Anwesen in Ordnung bringen.«
    »Es würde ein Vermögen kosten.«
    »Du bist reich.«
    »Nicht reich genug.«
    »Und Oscar?«
    »Nein. Dies hier gehört mir. Er kann ganz nach Belieben 317

    kommen und gehen, aber es ist mein Eigentum. So lautet die Abmachung.«
    »Was für eine Abmachung?« fragte Judith. Als Charles keine Antwort gab, setzte sie ihn mit Worten und ihrer unmittelbaren Präsenz unter Druck. »Sag es mir«, drängte sie sanft. »Erzähl mir alles.«
    Er holte tief Luft. »Ich bin älter als Oscar, und es gibt eine Familientradition, die bis in jene Zeit zurückreicht, als dieses Gebäude gerade erst erbaut worden war. Sie verlangt, daß der älteste Sohn - beziehungsweise die älteste Tochter, wenn Söhne fehlen - Mitglied einer Gruppe wird, die sich Tabula Rasa nennt.«
    »Davon habe ich nie etwas gehört.«
    »Die betreffenden Leute legen großen Wert darauf, daß alles geheim bleibt. Eigentlich darf ich nicht darüber reden - aber was soll's? Inzwischen ist es mir völlig gleichgültig. Ich sehe darin ein abgeschlossenes Kapitel der Vergangenheit. Nun, normalerweise hätte ich ein Mitglied der Tabula Rasa werden müssen, aber mein Vater überging mich und wählte Oscar.«
    »Warum?«
    Estabrook lächelte schief. »Ob du's glaubst oder nicht: Man hielt mich für unzuverlässig und labil. Mich! Kannst du dir das vorstellen? Man fürchtete, daß ich Dinge ausplaudere.« Er lachte laut. »Zum Teufel mit ihnen allen. Jetzt rede ich darüber.«
    »Was hat es mit der Gruppe auf sich?«
    »Sie wurde gegründet, um - wie hieß es noch? - die Beschmutzung englischen Bodens zu verhindern. Joshua liebte England.«
    »Joshua?«
    »Der Godolphin, der dieses Haus baute.«
    »An welche Art von ›Schmutz‹ dachte er?«
    »Was weiß ich? Vielleicht Katholiken. Oder Franzosen. Bei ihm saßen einige Schrauben locker, und das galt auch für die 318

    meisten seiner Freunde. Geheimgesellschaften waren damals groß in Mode...«
    »Existiert die Tabula Rasa nach wie vor?«
    »Ich glaube schon. Allerdings spreche ich nur selten mit Oscar, und dabei geht's nie um die Gruppe. Ein seltsamer Typ, mein Bruder. Ist noch viel verrückter als ich. Allerdings verbirgt er seinen Wahnsinn besser.«
    »Du hast ihn auch ziemlich gut versteckt, Charlie«, erinnerte ihn Judith.
    »Ein Fehler. Ich hätte ihn ganz deutlich zeigen sollen. Dann wäre es mir vielleicht gelungen, dich zu behalten.« Estabrook hob die Hand und berührte Judiths Wange. »Ich bin sehr dumm gewesen. Und ich kann mein Glück kaum fassen, daß du mir verzeihst.«
    Jude bedauerte es fast, Charlie so zu manipulieren, aber sie verdrängte die Reue rasch - der Zweck heiligte die Mittel.
    Inzwischen verfügte sie über zwei Stücke des Puzzles: die Tabula Rasa und deren Funktion.
    »Glaubst du an Magie?« fragte sie.
    »Möchtest du die Antwort vom alten Charlie hören oder vom neuen?«
    »Vom neuen. Von dem verrückten Charles.«
    »Dann lautet sie: Ja, ich glaube daran. Wenn mir Oscar eines seiner kleinen Geschenke brachte, sagte er häufig: Hier hast du einen Teil des Wunders. Die meisten Objekte habe ich weggeworfen, bis auf jene Gegenstände, die du im Safe gefunden hast. Ich wollte nicht wissen, woher sie stammen...«
    »Hast du dich nie nach ihrer Herkunft erkundigt?«
    »Einmal konnte ich der Neugier nicht widerstehen. Eines Abends - du warst nicht da, und ich hatte eine Menge intus -
    kam Oscar mit dem Manuskript, und ich habe ihn gefragt, woher er den Unsinn hätte. Was er mir daraufhin sagte, klang völlig absurd, und zunächst habe ich ihm nicht geglaubt. Doch schließlich sah ich alles in einem anderen Licht. Weißt du,

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