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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Brüder transportiert zu werden, und aus seinem kummervollen Pfeifen wurde ein schmerzerfülltes Heulen. Arme und Kopf 329

    steckten im Tunnel, der ins Woanders reichte, und die entsprechenden Körperteile stülpten sich um. Die untere Hälfte des Leibes zitterte und versuchte vergeblich, das Mosaik zu verlassen. Jude beobachtete, wie sich Kopf und Torso entfalteten, wie etwas die Haut von den Armen löste und ins Nichts riß.
    Der Strudel verflüchtigte sich innerhalb weniger Sekunden -
    und er nahm den Oberkörper mit. Der Rest sank zu Boden; blauschwarze Eingeweide quollen daraus hervor. Doch es steckte noch immer gespenstisches Leben im dämonischen Fleisch - die Beine zuckten wie bei einem epileptischen Anfall.
    Dowd ging an Judith vorbei und näherte sich dem Mosaik vorsichtig. Als er sich vergewissert hatte, daß die Verbindung zur anderen Welt nicht mehr existierte, griff er unter seine Jacke, holte eine Pistole hervor, zielte und drückte zweimal ab.
    Die Beine des Voiders zappelten langsamer, und kurz darauf lag er reglos.
    »Sie sollten nicht hier sein«, sagte er. »Sie hätten keine Zeugin dieser Ereignisse werden dürfen.«
    »Ich weiß, wohin Oscar und Charlie verschwunden sind.«
    »Ach, tatsächlich?« Dowd wölbte eine skeptische Braue.
    »Wohin denn?«
    »Nach Imagica.« Judith gab vor, mit den Hintergründen bestens vertraut zu sein, obgleich noch immer Verblüffung sie beherrschte.
    Der junge Mann lächelte dünn. Akzeptierte er die Lüge?
    Oder verriet sein Schmunzeln subtilen Spott? Jude war nicht ganz sicher. Sie musterte ihn, und er schien ihre Aufmerksamkeit zu genießen, verwechselte sie vielleicht mit Bewunderung.
    »Woher wissen Sie von Imagica?« fragte er.
    »Wissen nicht alle davon?«
    »Wohl kaum«, erwiderte Dowd nachdenklich. »Ich frage mich, in welche Geheimnisse Sie eingeweiht sind.«
    330

    Judith vermutete, daß sie ein Rätsel für ihn darstellte; solange das der Fall war, hatte sie vermutlich nichts von ihm zu befürchten.
    »Ob sie es geschafft haben?«
    »Wer weiß?« entgegnete der Mann mit dem perfekten, banalen Gesicht. »Möglicherweise hat der Voider ihren Transfer gestört. Vielleicht sind sie nicht in Yzordderrex eingetroffen.«
    »Wo könnten sie sonst sein?«
    »Im In Ovo. Irgendwo zwischen hier und der Zweiten Domäne.«
    »Und wie kehren sie zurück?« erkundigte sich Judith.
    »Wenn sie sich wirklich im In Ovo befinden...«, sagte Dowd langsam. »Dann dürfen wir nicht mit ihrer Rückkehr rechnen.«
    4
    Sie warteten. Besser gesagt: Judith wartete und beobachtete, wie die Sonne hinter den mit Nestern durchsetzten Baumwipfeln unterging, wie erste Sterne am Himmel leuchteten. Dowd kümmerte sich um die Leichen der Voider, zerrte sie aus der Kapelle und verbrannte sie auf einem Scheiterhaufen aus trockenem Holz. Es schien ihm völlig gleich zu sein, daß Jude zusah - ein Verhalten, das einer Lektion gleichkam, vielleicht auch eine Warnung. Offenbar nahm er an, daß sie Teil der geheimen Welt war, ebenso wie die Voider und er selbst, daß Gesetze und Moral der normalen Realität nichts für sie bedeuteten. Ganz bewußt gab sie vor, mit Imagica vertraut zu sein, und dadurch wurde sie zu einem Teil der Verschwörung. Jetzt gab es keinen Weg zurück zu ihrem früheren Leben; sie gehörte dem Geheimnis, so wie es ihr gehörte.
    Nun, jener Verlust belastete sie kaum, wenn nur Godolphin zurückkehrte. Er würde ihr dabei helfen, einen Weg durchs Mysteriöse zu finden. Wenn er nicht zurückkehrte..., dann 331

    ergaben sich weniger angenehme Konsequenzen. Es mochte unerträglich sein, Dowd Gesellschaft leisten zu müssen, weil sie beide Außenseiter waren. Judith stellte sich vor, wie sie in einem solchen Fall innerlich verwelken und sterben würde.
    Aber spielte das eine Rolle, wenn Oscar in ihrem Leben fehlte?
    In nur einer Stunde hatte sie die Spanne zwischen Ekstase und Verzweiflung durchmessen... Durfte sie hoffen, daß das Pendel noch einmal zur anderen Seite schwang, bevor der Tag zu Ende ging?
    Sie fröstelte in der Kälte und beschloß, zum Feuer zu gehen, um sich dort aufzuwärmen. Dabei befürchtete sie einen Übelkeit erweckenden Geruch, doch der Rauch stank nicht nach verbrennendem Fleisch, trug ihr einen fast aromatischen Duft entgegen. Und die beiden Körper in den Flammen stellten jetzt nur noch formlose schwarze Haufen dar. Dowd bot ihr eine Zigarette an; Judith nahm sie entgegen und entzündete sie mit Hilfe eines Zweigs, den sie aus dem Feuer zog.
    »Was

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