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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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inzwischen langweilte sie ihn. Tetrarchen verwalteten für ihn die vier zusammengeführten Domänen - im Fall der Ersten Domäne regierte der betreffende Tetrarch in absentia -, und gaben ihm die Möglichkeit, sich ganz Yzordderrex und dem Palast zu widmen. Aus der Stadt und ihrer Krone schuf er ein Monument der Sinnlosigkeit: Wenn er unter dem Einfluß von Kreauchee stand, verfluchte er es ebenso hingebungsvoll wie einen Feind.
    Eines Tages, in visionärer Stimmung, hatte er alle Fenster in der zur Wüste hin gelegenen Kammer zertrümmert und tonnenweise halb verfaultes Fleisch auf den Mosaiken verteilt.
    Es dauerte nicht lange, bis zahlreiche Aasvögel die heißen Winde über dem Sand aufgaben und sich auf Tischen und Betten niederließen, die eigentlich für den Adel der Domänen bestimmt waren. Bei einer anderen Gelegenheit hatte er befohlen, Fische vom Delta zu holen und in den Bädern unterzubringen. Warmes Wasser, genug Nahrung... Die Fische erwiesen sich als so fruchtbar, daß der Autokrat nach wenigen Wochen imstande gewesen wäre, auf ihren Rücken zu wandeln. Und plötzlich stand ihnen nicht mehr genug Lebensraum zur Verfügung. Stundenlang beobachtete er die Folgen und sah, wie sich die schuppigen Wesen gegenseitig umbrachten. Wie dem auch sei: Die grausamste Rache an seiner eigenen Torheit übte er in den riesigen Sälen, die sogar Wolken enthielten. Er verwandelte sie in Bühnen für Dramen, bei denen nichts vorgetäuscht und simuliert wurde, nicht einmal der Tod. Nach dem letzten Akt ließ er das 553

    entsprechende Theater ebenso gründlich versiegeln wie das Grab eines Pharaos - um sich anschließend den nächsten Saal vorzunehmen. Allmählich verwandelte sich der Palast von Yzordderrex in ein Mausoleum.
    Jene Gemächer, die er nun erreichte, bildeten natürlich eine Ausnahme. Quaisoirs Bäder, Schlafzimmer, Salons und Kapelle bildeten so etwas wie einen eigenen Staat, und der Autokrat hatte schon vor langer Zeit geschworen, sie unangetastet zu lassen. Die Königin konnte frei wählen, was Einrichtung und Ausstattung ihrer Residenz betraf, und sie entschied sich für jeden Luxus, der ihrem eklektischen Auge gefiel. Dabei bewies sie einen Geschmack, der auch dem Autokraten zu eigen gewesen war, bevor er zur Melancholie neigte. In den Kammern, die nun Aasvögeln als Nistplätze dienten, hatte er perfekte Kopien von Möbeln aus der Barock-und Rokokozeit aufgestellt. Hinzu kamen Spiegel wie in Versailles und vergoldete Toiletten. Aber jetzt gefielen ihm solche Extravaganzen nicht mehr, und der Anblick von Quaisoirs Zimmern genügte, um Übelkeit in ihm zu wecken.
    Unter anderen Umständen wäre er vielleicht umgekehrt, doch die Sucht nach Kreauchee trieb ihn weiter.
    Er trat ein und rief dabei den Namen seiner Frau. Zuerst schritt er durch mehrere Salons, in denen er Teller mit den Resten diverser Mahlzeiten sah, blickte in eine andere Kammer, die ihm noch mehr Prunk präsentierte, und erreichte schließlich das Schlafzimmer. Als er sich der Tür näherte, hörte er Fußschritte auf marmornem Boden, und Quaisoirs Zofe Concupiscentia erschien. Sie war wie immer nackt, und Dutzende von bunten Gliedmaßen ragten aus ihrem Rücken, alle so agil wie der Schwanz eines Affen. Die Vorderglieder dagegen wirkten verkümmert und schlaff - das Ergebnis einer speziellen, über Generationen hinweg erfolgten Behandlung.
    Ihre großen grünen Augen tränten ständig, und die fedrigen Fächer zu beiden Seiten des Gesichts neigten sich immer 554

    wieder nach vorn, um Feuchtigkeit von den Wangen zu wischen.
    »Wo ist Quaisoir?«
    Einer der Fächer glitt kokett zum Gesicht, und die Zofe kicherte wie eine Geisha. Der Autokrat hatte einmal mit ihr geschlafen, während eines Kreauchee-Rauschs, und seitdem verzichtete sie nie auf einen kleinen Flirt, wenn sie sich begegneten.
    »Jetzt nicht, verdammt«, sagte er und schnitt eine Grimasse.
    »Ich will zu meiner Frau! Wo ist sie?«
    Concupiscentia schüttelte den Kopf und wich vor der zornig erhobenen Faust zurück. Der Autokrat schob sich an ihr vorbei ins Schlafzimmer. Wenn Quaisoir Kreauchee hatte, so bewahrte sie es sicher hier auf, in ihrem Boudoir. Ein Dutzend verschiedene Parfüme hingen schwer in der Luft und formten fast ebenso dichte Schleier wie die Vorhänge am Bett.
    »Ich brauche Kreauchee!« donnerte er. »Wo ist das Zeug versteckt?«
    Wieder schüttelte Concupiscentia den Kopf, und diesmal fügte sie der stummen Geste ein leises Wimmern hinzu.
    »Wo?« rief er

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