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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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ihr?«
    »Und in nur zwei Monaten wird sie zur Gemahlin des Autokraten, um an seiner Seite über Imagica zu herrschen? Das ist ein enorm schneller Aufstieg zur Macht, wie?«
    Hinter ihnen krachten wieder Schüsse, und dann ertönte ein so lautes Gebrüll, daß der Boden unter Gentle zu vibrieren schien. Er blieb stehen und blickte über den Hang zum Hafen.
    »Eine Revolution kündigt sich an«, sagte er.
    »Ich glaube, sie hat schon begonnen«, meinte Pie.
    »Man wird Quaisoir, das heißt Judith töten.« Gentle ging über den Hang des Hügels, in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
    »Was hast du vor?« fragte Pie.
    »Ich begleite dich«, beschloß Huzzah, doch der Mystif hielt sie fest, bevor sie zu Zacharias laufen konnte.
    »Von wegen«, wandte sich Pie an das Mädchen. »Wir sind hier, um dich zu deinen Großeltern zu bringen. Gentle, bitte hör mich an. Es ist nicht Judith.«
    Zacharias drehte sich um und versuchte, in einem möglichst vernünftigen Tonfall zu sprechen.
    »Wenn es nicht Judith ist, dann handelt es sich um ihr Echo, um eine Doppelgängerin. Um einen Teil von ihr, hier in Yzordderrex.«
    Pie musterte Gentle stumm, forderte ihn mit unerschütterli-570

    chem Schweigen auf, seine Theorie genauer zu erläutern.
    »Vielleicht können manche Personen an zwei Orten gleichzeitig sein«, fuhr Zacharias fort. Hilflos suchte er nach Worten, schnitt eine Grimasse. »Ich weiß, daß es Judith war -
    das kannst du mir nicht ausreden. Setz den Weg zum Kesparat deines Volkes fort, Pie. Warte dort mit Huzzah auf mich.
    Ich...«
    Gentle klappte den Mund zu, als erneut jenes Geschrei ertönte, das zuvor auf Quaisoirs Wagen hingewiesen hatte. Es klang jetzt noch schriller, und nach wenigen Sekunden wurde es von lautem Jubel übertönt.
    »Das hört sich ganz nach einem Rückzug an«, sagte Pie.
    Eine knappe halbe Minute später gaben ihm die Ereignisse recht: Quaisoirs Wagen erschien, umgeben von den lädierten Resten ihres Gefolges. Gentle, Pie und Huzzah hatten genug Zeit, um beiseite zu treten, Rädern und Stiefeln auszuweichen -
    die Kolonne kam nicht annähernd so schnell voran wie auf dem Weg zum Lagerhaus. Der steile Hang mochte ein Grund dafür sein, außerdem hatten aber auch viele der in Rüstungen gekleideten Krieger bei der Verteidigung des Fahrzeugs Verletzungen erlitten; manche von ihnen liefen nicht, sie taumelten nur noch.
    »Der Autokrat wird Repressalien anordnen«, prophezeite Pie.
    Gentle murmelte zustimmend und sah dem Wagen nach.
    »Ich muß sie wiedersehen«, sagte er.
    »Das dürfte nicht so einfach sein«, erwiderte der Mystif.
    »Sie empfängt mich bestimmt. Ich habe sie erkannt, und das bedeutet: Sie wird auch mich erkennen. Da bin ich ganz sicher.«
    Pie fragte nicht, worauf Gentles Sicherheit basierte. »Was nun?«
    »Wir suchen das Kesparat deines Volkes auf und veranlassen dort eine Suche nach Huzzahs Großeltern. Im Anschluß daran 571

    statten wir Quaisoir einen Besuch ab.« Gentle deutete zum Palast. »Wer auch immer sie ist - ich möchte ihr einige Fragen stellen.«
    3
    Als Gentle, Pie und Huzzah erneut am Hang emporwanderten, drehte der Wind. Die vom Meer her wehende Kühle wich schweißtreibender Hitze aus der Wüste. Die Bewohner von Yzordderrex waren an so jähe klimatische Veränderungen gewöhnt, und deshalb führten schon die ersten Anzeichen des Temperaturwechsels zu automatischen Reaktionen, die fast komisch wirkten: Man holte Wäsche und Topfpflanzen von Fensterbänken; Toller und Katzen gaben ihre Plätze an sonnigen Ecken auf; Markisen wurden heruntergelassen und Fensterläden geschlossen. Innerhalb weniger Minuten war die Straße leer.
    »Ich habe solche Stürme erlebt«, sagte Pie. »Es kann wohl kaum unserem Wunsch entsprechen, dabei im Freien zu sein.«
    »Sei unbesorgt«, erwiderte Gentle, setzte sich Huzzah auf die Schultern und eilte los. Sie hatten nach dem Weg gefragt, bevor der Wind drehte, und die Auskünfte stammten von einem Ladeninhaber, der die Stadt gut zu kennen schien.
    Seine Hinweise ließen nichts zu wünschen übrig, im Gegensatz zum Wetter. Der Wind brachte nicht nur Hitze, sondern auch einen fauligen Geruch und jede Menge Sand.
    Wenigstens wurden sie jetzt nicht mehr durch Verkehr aufgehalten: Die einzigen anderen Personen, denen sie unterwegs begegneten, waren kriminell, verrückt oder obdachlos - Beschreibungen, die in gewisser Weise auch auf Gentle, den Mystif und das Mädchen zutrafen. Ohne Zwischenfall erreichten sie das Viatikum, und

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