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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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zurück, als der Wagen vorbeirollte, obgleich überhaupt nicht die Gefahr bestand, daß sie überfahren wurde. Sie drehte sich um, und ihr Gesicht zeigte ein breites Lächeln.
    »Wer war das?« fragte das Mädchen.
    »Keine Ahnung.«
    Eine Frau, die in einem nahen Hauseingang stand, gab Antwort.
    »Quaisoir«, sagte sie. »Die Gemahlin des Autokraten. In Schlacke werden Leute verhaftet. Mangler.«
    Sie vollführte eine seltsame Geste: Die Finger huschten durchs Gesicht, von einem Auge zum anderen, dann zum Mund; die Knöchel von Zeige- und Ringfinger wurden an die Nase gepreßt, während die Kuppe des Mittelfingers zur Unterlippe tastete. Die Schnelligkeit, mit der sich die Hand der Frau bewegte, deutete darauf hin, daß sie dieses sonderbare Zeichen häufig wiederholte. Ohne ein weiteres Wort eilte sie die Straße hinunter und hielt sich dabei dicht an der Mauer.
    »Athanasius war ein Mangler, nicht wahr?« murmelte Gentle. »Vielleicht sollten wir feststellen, was in Schlacke geschieht.«
    »Wir müssen damit rechnen, dort vielen Leuten zu begegnen«, sagte Pie.
    »Wir halten uns im Hintergrund«, schlug Zacharias vor. »Ich möchte den Feind in Aktion sehen.«
    Er gab dem Mystif keine Zeit, weitere Einwände zu erheben, griff nach Huzzahs Hand und folgte Quaisoirs Soldaten, die eine unverkennbare Spur hinterließen: Überall erschienen Gesichter in Fenstern und Türen - wie Seeanemonen, die sich wieder zeigten, nachdem der Bauch eines Hais über sie hinweggestrichen war. Die Leute zögerten argwöhnisch, dazu 563

    bereit, beim geringsten Anzeichen eines Schattens zurückzuweichen. Nur einige Knirpse, noch nicht in die Geheimnisse des Entsetzens eingeweiht, nahmen sich ein Beispiel an den drei Fremden und suchten ebenfalls die Mitte der Straße auf, wo das Licht des Kometen heller strahlte als am Rand. Ihre Mütter holten sie rasch in die relative Sicherheit der Hauseingänge zurück.
    Der Ozean geriet in Sicht, als das Trio die Hügelkuppe erreichte und auf der anderen Seite am Hang hinabschritt. Gentle sah den Hafen durch Lücken zwischen Häusern, die hier wesentlich älter waren als in Oke T'Noon oder Caramess.
    Zacharias atmete frische Luft und fühlte sich von ihr belebt. Es dauerte nicht lange, bis die Wohnhäuser den Docks wichen: Um sie herum ragten Lagergebäude, Kräne und Silos auf. Der Bereich war keineswegs verlassen. Die hier tätigen Arbeiter ließen sich nicht so leicht einen Schrecken einjagen wie die Bewohner der weiter oben gelegenen Kesparaten; viele von ihnen gingen los, um herauszufinden, was der Krach zu bedeuten hatte. Sie bildeten eine auffallend homogene Gruppe: Die meisten von ihnen vereinten Merkmale von Oethacs und Menschen und zeichneten sich durch eine überaus kräftige Gestalt aus. Eine genügend große Anzahl solcher Männer mochte durchaus in der Lage sein, Quaisoirs Truppe zu besiegen. Gentle hob sich Huzzah auf den Rücken, als sie die Menge erreichten - er fürchtete, daß sie im Gedränge niedergetrampelt würde. Einige Dockarbeiter lächelten, als sie das Mädchen sahen, und wichen sogar beiseite, damit es im Durcheinander einen besseren Platz bekäme. Als sie bis auf Sichtweite an die Soldaten herangekommen waren, steckten sie mitten im Gewühl.
    Ein kleiner Teil der Truppe hatte den Auftrag erhalten, die Schaulustigen vom Ort des Einsatzes fernzuhalten, und die entsprechenden Krieger versuchten, dieser Aufgabe gerecht zu werden. Aber es waren zu wenige; die Menge schwoll nach 564

    wie vor an und drängte den Kordon immer mehr nach vorn.
    Gentle reckte den Hals. Dreißig oder vierzig Meter entfernt erhob sich ein Lagerhaus mit zahllosen Einschußlöchern in den Mauern. Rauch quoll aus den unteren Fenstern. In graue Uniformen gekleidete Gestalten - sie erinnerten Zacharias an die Soldaten in L'Himby - holten Leichen und Verletzte aus dem Gebäude. Einige von ihnen befanden sich im ersten Stock und schoben dort Tote und Verwundete aus den Fenstern.
    Unten wuchs ein blutiger Haufen, der andere Erinnerungen in Gentle weckte. Er dachte an Beatrix und fragte sich, ob Leichenhaufen zu den Wahrzeichen des Autokraten gehörten.
    »Das ist nichts für dich, Engelchen«, sagte er zu Huzzah und wollte sie absetzen. Aber das Mädchen klammerte sich an ihm fest, griff mit beiden Händen in sein Haar.
    »Ich möchte es sehen«, beharrte es. »Zusammen mit meinem Vater habe ich so etwas mehrmals beobachtet.«
    »Wenn du dich übergeben mußt... Bitte steig vorher ab.«
    »Mir wird nicht

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