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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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der Nullianac starb. Irgendeine Ähnlichkeit mit dem Mädchen fehlte natürlich, und unter anderen Umständen hätte Gentle kaum vermutet, daß die Reste in der blutigen Kleidung von dem Kind stammten. Er bückte sich, um danach zu greifen, und spürte, wie ihm Tränen in die Augen quollen.
    Bevor er das zitternde, vibrierende Etwas inmitten der Abfälle berühren konnte, sickerten die Überbleibsel des Lebens fort.
    Zacharias erhob sich wieder, und Entsetzen keimte in ihm.
    Hinzu kam Zorn, weil er überlebt hatte, während Engelchen sterben mußte. Er blickte zur nächsten Wand, holte Luft und hob beide Hände an die Lippen - Gentle wollte seine Macht nutzen, um das zu begraben, was der Tod von Huzzah 619

    übriggelassen hatte.
    Doch Wut und Abscheu verliehen dem Pneuma zusätzliche Kraft, und als es fortsauste, zerstörte es nicht nur eine Mauer, sondern mehrere, durchschlug die Wände so mühelos, als bestünden sie aus dünnem Papier. Steinsplitter flogen umher, als das erste Haus einstürzte und damit einen Domino-Effekt auslöste, dem auch andere Gebäude zum Opfer fielen. Eine Staubwolke entstand, wurde rasch größer und dichter.
    Gentle lief los und befürchtete plötzlich, daß sein Zorn dem Pneuma zu großes Zerstörungspotential gegeben hatte. Es raste zur Geilen Gasse, wo noch immer viele Leute unterwegs waren. Ihre dortige Präsenz bewies, daß es sich nicht um Unschuldige handelte, aber als Strafe wäre der Tod in den meisten Fällen übertrieben gewesen. Zacharias wünschte sich eine Möglichkeit, den Atem zurückzuholen, ihn wieder in die Lungen zu saugen, auf daß es keinen Schaden mehr anrichtete.
    Aber jetzt entfaltete das Phänomen eine von ihm unabhängige Wirkung, und er konnte ihm nur folgen und hoffen, daß es seine Kraft verausgabte, bevor es die Menge in der Geilen Gasse erreichte.
    Jenseits der sich ausdehnenden Vernichtungszone glitzerten die Lichter der Gasse. Gentle lief nun und versuchte, das Pneuma zu überholen, was ihm tatsächlich gelang. Und dann sah er das Gedränge auf der Straße. Einige Personen wandten sich von den Schaufenstern ab und starrten zu den einstürzenden Häusern hin; sie lächelten schief oder schüttelten verwirrt den Kopf. Kaum jemand von ihnen schien die Gefahr wirklich zu erkennen. Zacharias wußte, daß es keinen Sinn hatte, irgendwelche Warnungen zu rufen, und deshalb beschloß er, bis zum Ende der Gasse zu sprinten, sich dort ins Durcheinander zu stürzen und die Leute auseinanderzutreiben.
    Doch sein Verhalten sorgte nur dafür, daß er ein rasch größer werdendes Publikum bekam, das sein Interesse auch auf die näher rückende Vernichtungsfront richtete. Ein oder zwei 620

    Passanten begriffen, was nun geschah, und die Neugier in ihren Mienen verwandelte sich in Furcht. Ihr Unbehagen erfaßte auch die anderen, woraufhin ein allgemeiner Rückzug begann -
    zu spät.
    Das Pneuma kam viel zu schnell näher. Es durchbrach die letzte Mauer in einem Regen aus Steinen und geborstenem Holz und erreichte die Menge dort, wo sie am dichtesten stand.
    Wenn es Hapexamendios darum gegangen wäre, Schmutz und Laster aus der Geilen Gasse zu tilgen, so hätte Er dafür kaum eine eindrucksvollere Methode wählen können. Wo eben noch verblüffte Schaulustige gestanden hatten, spritzte nun Blut.
    Gentle befand sich mitten in dem Chaos, doch er blieb unverletzt. Er beobachtete, wie sich seine eigene Waffe auswirkte: Sie hatte mehrere Häuser zerstört, ohne dadurch an Kraft zu verlieren. Das Pneuma schnitt eine Bahn durch die Menge und änderte den Kurs - offenbar fand es Gefallen daran, lebendes Fleisch zu zerfetzen.
    Zacharias stellte sich vor, wie es weiter umherraste und Dutzende, Hunderte von Personen tötete - dieser Gedanke entsetzte ihn zutiefst. So etwas war nie seine Absicht gewesen. Um noch mehr Unheil zu verhüten, trat er in den Weg des Pneumas. Er hatte die Macht seiner Lungen schon oft verwendet - zum erstenmal in Vanaeph gegen den Bruder des Nullianac, zweimal in den Bergen und schließlich auch auf der Insel bei der Flucht aus Vigor N'ashaps Irrenanstalt -, ohne jemals einen Eindruck vom Erscheinungsbild zugewinnen. Sah das Pneuma wie der Atem eines Feuerschluckers aus? Oder wie ein Geschoß aus festem Willen und Luft, eine Kugel, die fast unsichtbar blieb, bis sie ihr Ziel erreichte? Letzteres mochte zunächst der Fall gewesen sein, aber unterwegs hatte es aus Staub und Blut ein Abbild seines Schöpfers geformt. Als Gentle Anstalten machte, das Pneuma mit

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