Imagica
ich für unwahrscheinlich«, warf Thes'reh'ot ein.
»Sollen wir etwa glauben, daß Sie...«
»Haben Sie mich um Erlaubnis gebeten, eine Frage an den Angeklagten zu richten?« kam es scharf von Culus'su'erais Lippen.
»Nein, Euer Ehren.«
»Möchten Sie eine entsprechende Genehmigung?«
»Ja, Euer Ehren.«
»Sie wird Ihnen hiermit verweigert.« Culus sah wieder Pie an. »Sicher haben Sie in der Fünften Domäne viel gelernt«, sagte sie.
»Doch das zusätzliche Wissen gereicht Ihnen nicht zum Vorteil. Sie sind arrogant und verschlagen. Und vermutlich sind Sie ebenso grausam wie Ihr Maestro. Aber ich halte Sie nicht für einen Spitzel. Nein, Sie stellen etwas Schlimmeres dar 627
- ich muß Ihnen vorwerfen, ein Narr zu sein. Sie wandten sich von Personen ab, die Sie liebten, um sich anschließend von einem Mann versklaven zu lassen, der die Verantwortung für den Tod vieler anständiger Individuen in Imagica trägt. Oh, ich sehe deutlich, daß Sie etwas sagen möchten, Thes'reh'ot.
Spucken Sie's aus, bevor ich das Urteil fälle.«
»Gestatten Sie mir den Hinweis, daß dem Mystif nicht nur zur Last gelegt wird, hier zu spionieren, Euer Ehren. Er beging ein noch viel abscheulicheres Verbrechen, indem er die eigene Einzigartigkeit seinem Volk vorenthielt.«
»In der Tat«, bestätigte Culus'su'erai. »Offen gestanden: Es widert mich, etwas Schmutziges zu betrachten, das Perfektion erreichen konnte. Nun, Thes'reh'ot, ich muß Sie aber daran erinnern, daß wir nur noch wenige sind. Unser einst großes Volk ist auf einen kümmerlichen Rest geschrumpft. Mystifs waren immer sehr selten, doch dieses Exemplar ist das letzte seiner Abstammungslinie.«
»Ich bin der letzte?« fragte Pie.
»Ja, der letzte!« Culus sprach nun lauter, und ihre Stimme bebte. »Während Sie sich in der Fünften Domäne herumgetrieben haben, wurden die Eurhetemecs systematisch dezimiert. Hier in dieser Stadt gibt es jetzt nur noch etwa fünfzig von uns. Alle anderen sind entweder tot oder geflohen.
Ihre Familie existiert nicht mehr, Pie'oh'pah. Alle Angehörigen Ihres Clans wurden ermordet oder starben aus Kummer.«
Der Mystif schlug die Hände vors Gesicht, aber Culus fuhr gnadenlos fort: »Zwei andere Mystifs überlebten bis vor einem Jahr. Einen von ihnen brachte man hier in den Chianculi um, während er ein Kind heilte. Der andere zog in die Wüste - dort leben die Mangler, am Rand der Ersten, und die Truppen des Autokraten wagen sich nur selten in die Nähe der Rasur. Doch die Soldaten fingen ihn ein, bevor er zu den Zelten gelangte.
Sie brachten ihn mit, erhängten ihn am Tor.« Die Richterin stand auf und näherte sich dem schluchzenden Pie. »Vielleicht 628
haben Sie richtig gehandelt, wenn auch aus den falschen Gründen. Wenn Sie hiergeblieben wären, so hätte es Sie ebenfalls erwischt...«
»Ich erhebe Einspruch, Euer Ehren«, sagte Thes'reh'ot.
»Welches Urteil verlangen Sie?« fragte Culus'su'erai den Ankläger. »Halten Sie es für angebracht, das Blut dieses Narren dem der anderen Toten hinzuzufügen? Nein. Wir sollten die Verderbtheit des Angeklagten für unsere Zwecke nutzen.« Pie hob verwirrt den Kopf, und die Richterin erläuterte: »Vielleicht sind wir zu rein gewesen, zu berechenbar. Vielleicht konnte der Gegner unsere Pläne zu leicht durchschauen. Doch Sie kommen aus einer anderen Welt, Mystif, und möglicherweise haben Sie dadurch Macht.«
Culus legte eine kurze Pause ein und holte Luft. »Dies ist mein Urteil: Wählen Sie einige der Überlebenden aus und nutzen Sie Ihre Verschlagenheit, um den Feind zu töten. Wenn niemand bereit sein sollte, Sie zu begleiten..., dann brechen Sie allein auf. Kehren Sie erst hierher zurück, wenn der Autokrat nicht mehr atmet.«
Thes'reh'ots Lachen hallte von den Wänden des großen Saals wider. »Ausgezeichnet!« stieß er hervor. »Perfekt!«
»Es freut mich, daß mein Urteil Sie so sehr amüsiert«, entgegnete Culus. »Gehen Sie, Thes'reh'ot.« Der Ankläger wollte protestieren, doch die Richterin kam ihm zuvor. »Sie sollen gehen!« heulte sie so laut, daß Thes'reh'ot zusammenzuckte.
Er wurde abrupt ernst, verneigte sich, murmelte etwas Unverständliches und eilte fort. Culus'su'erai sah ihm nach.
»Wir alle sind grausam geworden«, sagte sie, und dabei sank ihre Stimme zu einem Flüstern. »Sie auf Ihre Weise. Wir auf unsere.« Ihr Blick wanderte wieder zu Pie. »Wissen Sie, warum er gelacht hat, Mystif?«
»Weil er die Ansicht vertritt, daß Ihr Urteil auf eine
Weitere Kostenlose Bücher