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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Street stand, und wenn Pie dadurch zu einem unwissentlichen Komplizen wurde... Dann wollte er allein von seiner Schuld erfahren, ohne daß ihn jemand begleitete.
    Er bereitete sich innerlich auf unerfreuliche Offenbarungen vor, als er an dem Bild vorbeiging und den Weg fortsetzte.
    Nach einigen Schritten fiel ihm das Versprechen ein, das er Lu'chur'chem gegeben hatte. Wenn er die Mission überlebte, mußte er mit den Augen des Autokraten zurückkehren. Mit Augen, so wußte Pie nun, die einst die Ganmut Street gesehen 670

    und sie so aufmerksam beobachtet hatten wie der Mann am Fenster jene junge Frau, die auf der anderen Straßenseite an der Frisierkommode saß, von ihrem eigenen Spiegelbild fasziniert.
    671

    KAPITEL 37
    Dem Theaterdistrikt von Yzordderrex ging es wie so vielen ähnlich beschaffenen Vierteln in anderen Städten, sowohl in den zusammengeführten Domänen von Imagica als auch in der Fünften: Einst hatte er keinen besonders guten Ruf genossen, als sich Schauspieler beider Geschlechter bemühten, ihre Gagen mit dem traditionellen Fünfakter aufzubessern: Sex, Gaunereien, Betrug, Diebstahl und Täuschung. Inzwischen hatte sich das Zentrum dieser Aktivitäten zur anderen Seite der Stadt verlagert, wo sich die Kundschaft - meistens Leute aus der Mittelklasse - sicherer wähnte vor den neugierigen Blicken jener Leute, die anständigere Formen der Unterhaltung vorzogen. Die Geile Gasse und ihre Nebenstraßen erblühten innerhalb von wenigen Monaten und wurden schnell zum drittreichsten Kesparat in Yzordderrex, während man das Theaterviertel dem Niedergang zur Redlichkeit überließ.
    Vielleicht hatte das Ipse die Schrecknisse der vergangenen Stunden deshalb besser überstanden als die meisten anderen Kesparate, weil sich kaum jemand dafür interessierte. Natürlich blieb dieser Bereich der Stadt keine Oase des Friedens. General Mattalaus' Bataillone waren durch die Straßen marschiert, auf dem Weg nach Süden zum Damm, wo die Rebellen versuchten, eine Brücke übers Delta zu bauen. Später kamen mehrere Familien aus dem Caramess und suchten Zuflucht in Kopocovis Rialto. Aber wenigstens hatte man hier weder Barrikaden errichtet noch Gebäude niedergebrannt. Der nächste Tag würde das Deliquium nicht als eine Ruinenlandschaft sehen, doch Desinteresse allein kam als Grund dafür kaum in Frage. Es steckte auch noch etwas anderes dahinter, zum Beispiel die Präsenz des sogenannten Blassen Hügels. Nun, es handelte sich nicht um einen Hügel, und von Blässe irgendeiner Art konnte bei dem betreffenden Ort ebenfalls keine Rede sein. Er wies ein kreisförmiges 672

    Denkmal auf, in dessen Mitte ein Schacht tief in den Boden führte. Seit undenklichen Zeiten nutzte man ihn als letzte Ruhestätte für die Leichen von Hingerichteten, Selbstmördern, Verhungerten und manchmal auch Romantikern, die es vorzogen, in solcher Gesellschaft zu vermodern. Der kommende Tag mochte Gerüchte bringen: Vielleicht flüsterten die Leute, daß die Geister der Toten aus dem Schacht gekommen waren, um die Vandalen und Barrikadenbauer daran zu hindern, dieses Kesparat zu zerstören - indem sie zu den Treppen des Ipse und Rialto zogen und in den Straßen heulten wie zornige Hunde, die vergeblich dem Schweif des Kometen nachjagten.
    Quaisoir trug schmutzige Fetzen am Leib. Ständig Gebete murmelnd, wankte sie durch das Getümmel der Straßenkämpfe, durch mehrere Schlachten, ohne dabei verletzt zu werden. In dieser Nacht waren viele verzweifelte Frauen in der Stadt unterwegs: Sie beteten zu Hapexamendios, in der Hoffnung, daß Er ihnen Kinder oder Ehemänner zurückbrachte. In den meisten Fällen ließen die Soldaten sie passieren
    - ihr Schluchzen genügte als Parole.
    Die Kämpfe bereiteten der Gemahlin des Autokraten kein nennenswertes Unbehagen. Sie hatte häufig Hinrichtungen angeordnet und dabei zugesehen. Doch wenn bei solchen Gelegenheiten die Köpfe rollten, war sie immer rasch zum Palast zurückgekehrt und hatte es anderen Leuten überlassen, die blutigen Überreste fortzuschaffen. Jetzt ging Quaisoir barfuß durch Straßen, die wie Schlachthöfe anmuteten. Ihre legendäre Gleichgültigkeit dem Tod gegenüber wich einem so tiefen Entsetzen, daß sie sich mehrmals zu einem Umweg entschloß, um Passagen zu meiden, in denen es zu sehr nach frisch vergossenem Blut roch. Sie wollte ihre Feigheit dem Mann der Schmerzen beichten, wenn sie ihn schließlich fand -
    noch eine Sünde, die sich der schweren Last ihrer Schuld

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