Imagica
gibt...«
»Gib mir die Chance, es herauszufinden. Ich fürchte mich nicht. Mein Volk stammt aus der Ersten Domäne, und ich möchte unsere alte Heimat sehen.« Zum erstenmal untermalte 779
so etwas wie Leidenschaft Pie'oh'pahs Worte. »Ich will sterben, Maestro«, wiederholte er. »Ich brauche einen Platz, um mich hinzulegen und auszuruhen.«
»Und wenn die Leere nur... Leere enthält?«
»Ich ziehe sie dem Schmerz vor.«
Dieser Antwort hatte Gentle nichts entgegenzusetzen. »Dann solltest du besser gehen«, sagte er und wünschte sich freundli-chere, liebevollere Worte, um den Mystif freizugeben. Aber es gelang ihm nicht, seinen Kummer zu unterdrücken; Enttäuschung und Trauer füllten den ganzen emotionalen Kosmos. Wie sehr er auch danach strebte, Pie Leid zu ersparen
- noch intensiver war das egoistische Empfinden, ihn zu benötigen, das fragwürdige Gefühl, ihn zu besitzen.
»Ich wünschte, wir könnten diese letzte Reise zusammen unternehmen, Maestro«, sagte Pie. »Aber es wartet Arbeit auf dich. Wichtige Arbeit.«
»Und wie soll ich sie ohne dich erledigen?« entgegnete Gentle. Tief in seinem Innern beschämte es ihn, auf diese Weise Druck auszuüben, aber er wollte nichts unversucht lassen, um den Mystif daran zu hindern, sich im wahrsten Sinne des Wortes dem Jenseits auszuliefern.
»Du bist nicht allein«, erwiderte Pie'oh'pah. »Du hast Tick Raw und Scopique kennengelernt. Beide gehörten zur letzten Synode, und sie sind bereit, zusammen mit dir eine neue Rekonziliation zu versuchen.«
»Haben beide die Macht eines Maestros?«
»Ja, inzwischen ist das der Fall. Vor zwei Jahrhunderten waren sie Novizen, aber jetzt sind sie bereit. Sie arbeiten in ihren Domänen, während du die notwendigen Vorbereitungen in der Fünften triffst.«
»Zwanzig Jahrzehnte lang haben sie gewartet?« fragte Gentle.
»Sie wußten, du würdest kommen. Oder jemand anderer so wie du.«
780
Ich habe sie beide schlecht behandelt, ging es Zacharias durch den Sinn. Insbesondere Tick Raw.
»Wer repräsentiert die Zweite?« erkundigte er sich. »Und wer die Erste?«
»In Yzordderrex gab es einen Eurhetemec, der sich Gelegenheit erhoffte, für die Zweite zu arbeiten, aber jetzt ist er tot«, antwortete Pie. »Schon damals war er recht alt, und der Körper ließ ihn im Stich. Ich habe Scopique gebeten, Ersatz für ihn zu besorgen.«
»Und hier?«
»Ich hoffte, daß mir diese Ehre zuteil wird, doch ich bin nicht mehr imstande, eine derartige Verantwortung zu tragen.
Du mußt dir jemand anders suchen, Maestro. Verzage nicht.
Du warst - und bist - ein guter Rekonziliant...«
»Ich habe versagt. Also kann nicht viel mit mir los gewesen sein.«
»Diesmal wirst du einen Erfolg erzielen.«
»Ich weiß nicht einmal über die erforderlichen Zeremonien Bescheid.«
»Bestimmt erinnerst du dich an sie, nach einer Weile.«
»Wie soll das möglich sein?«
»Was wir gesagt, getan und gefühlt haben... Alles ruht in der Gamut Street. Alle unsere Vorbereitungen und Debatten. Selbst ich.«
»Erinnerungen genügen nicht, Pie.«
»Ich weiß...«
»Ich möchte den lebendigen Pie'oh'pah. Ich möchte dich...
für immer.«
»Vielleicht findest du mich - wenn Imagica eins ist, wenn sich die Erste Domäne öffnet.«
Diese Worte weckten Hoffnung. Aber genügte sie, um Gentle nach der Trennung von dem Mystif vor der Verzweiflung zu bewahren?
»Darf ich jetzt gehen?« fragte Pie'oh'pah.
781
Nie zuvor war es Gentle so schwer gefallen, eine einzige Silbe über die Lippen zu bringen.
»Ja.«
Pie hob die Hand - sie war nicht mehr als ein Schatten, dem fünf Finger wuchsen - und berührte Zacharias an der Wange.
Er fühlte keinen physischen Kontakt, aber das Herz schlug schneller, pochte ihm jäh bis zum Hals empor.
»Wir sind nicht verloren«, betonte der Mystif. »Vergiß das nie.«
Die schemenhaften Finger glitten fort, und Pie wich von Gentles Seite, näherte sich der Rasur. Etwa ein Dutzend Meter galt es zurückzulegen, und als sich der Mystif dem Nichts näherte, spürte Zacharias, wie etwas in ihm zu zittern und zu beben begann. Er wußte, daß er Pie nicht zurückhalten durfte, aber nur mit großer Mühe widerstand er der Versuchung, ihm hastig zu folgen. Alles in Gentle drängte danach, noch einige letzte Worte mit Pie'oh'pah zu wechseln, seiner Stimme zu lauschen und neben ihm zu stehen, der Schatten eines Schattens zu sein.
Die Gestalt sah die ganze Zeit über nach vorn, betrat mit geradezu erschreckendem Gleichmut
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