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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Ihre Furcht. Dieser Boden ist heilig im Namen der Göttin.«
    »Warum?«
    »Es heißt, in der Nähe dieses Ortes fand einst ein abscheuliches Verbrechen statt. Eine Frau aus der Fünften Domäne wurde hier vergewaltigt, und daher ist solcher Boden für den Geist der Heiligen Mutter sakral.« Athanasius ging in die Hocke, enthüllte eine weitere Statue und berührte sie ehrfürchtig. »Sie weilt bei uns«, fuhr er fort. »Sie manifestiert sich in jedem Bildnis, in jedem Stein, in jedem Windstoß. Sie 787

    segnet uns, weil wir uns so nahe an die Domäne ihres Feindes heranwagen.«
    »Welchen Feind meinen Sie?«
    »Dürfen Sie Seinen Namen nicht aussprechen, ohne dabei auf die Knie zu sinken?« fragte Athanasius. »Hapexamendios.
    Ihren Gebieter meine ich, den Unerblickten. Geben Sie ruhig zu, daß Sie ihm dienen. Sie brauchen es nicht zu leugnen. Sie kennen nun mein Geheimnis, und ich weiß um das Ihre. Wir sind offen zueinander. Nun, erlauben Sie mir eine Frage, bevor Sie gehen...«
    »Ich höre.«
    »Wie haben Sie herausgefunden, daß wir Anhänger der Göttin sind? Hat Floccus Sie darauf hingewiesen? Oder vielleicht auch Nikaetomaas?«
    »Nein. Bis eben wußte ich es nicht, und es ist mir auch gleich.« Gentle ging auf den Priester zu. »Ich fürchte mich nicht vor Ihren Jungfrauen, Athanasius.«
    Er wandte sich einer von ihnen zu und zog das Tuch beiseite, präsentierte sie von der Sternenkrone bis hin zu den Füßen, die in Wolken ruhten. Die Hände waren im Gebet gefaltet. Gentle bückte sich auf die gleiche Weise wie Athanasius und griff nach den Fingern.
    »Die Statuen gefallen mir«, sagte er. »Gute Arbeit. Ich bin selbst einmal Künstler gewesen und verstehe etwas davon.«
    »Sie sind stark, Maestro - das muß ich Ihnen lassen. Ich habe damit gerechnet, daß die Heilige Mutter Sie auf die Knie zwingt.«
    »Eben sollte ich noch vor Hapexamendios knien, und jetzt auch vor der Jungfrau?«
    »Bei der einen Gottheit als treuer Diener, bei der anderen aus Furcht.«
    »Tut mir leid, Sie zu enttäuschen, aber meine Beine gehorchen allein mir. Ich sinke auf die Knie, wann und wo es mir paßt.«
    788

    Feine Falten formten sich auf der Stirn des Priesters. »Sie scheinen tatsächlich an Ihre Willensfreiheit zu glauben.«
    »Und ob. Ich weiß nicht, was für eine Verschwörung Sie argwöhnen, aber ich darf Ihnen versichern, daß ich in dieser Hinsicht keine Schuld auf mich geladen habe.«
    »Vielleicht sind Sie noch mehr Sein Werkzeug, als ich bisher dachte«, sagte Athanasius. »Vielleicht wissen Sie nicht einmal, für welche Zwecke Er Sie einsetzt.«
    »O nein«, widersprach Gentle. »Ich kenne meine Aufgabe, und ich sehe keinen Grund, mich jener Pflichten zu schämen.
    Ich werde versuchen, die Fünfte den anderen Domänen hinzuzugesellen. Ich möchte Imagica zur Einheit verhelfen, und eigentlich sollte das auch Ihren Wünschen entsprechen.
    Dann können Sie den Vatikan besuchen; dort wimmelt's von Madonnenfiguren.«
    Diese Worte schienen den Wind zornig zu stimmen: Er heulte lauter und zerrte an den Planen. Eine Bö fand in die Kammer, hob mehrere der leichten Tücher an und löschte das Licht in einer Laterne.
    »Er kann Sie nicht retten«, sagte Athanasius. Offensichtlich schien er zu glauben, der Wind sei gekommen, um Gentle fortzutragen. »Und wenn Sie bisher von Unwissenheit geschützt wurden - das nützt Ihnen jetzt nichts mehr.«
    Der Priester sah wieder die ›Leichen‹ an, die er betrachtet hatte, als Floccus die Kammer verließ.
    »Daß es ausgerechnet hier geschehen muß...«, sagte er.
    »Bitte verzeih uns, Göttin.«
    Offenbar gab er damit ein Zeichen. Vier Gestalten gerieten plötzlich in Bewegung, setzten sich auf und zogen die Tücher vom Kopf. Es handelte sich nicht um Madonnenbildnisse, sondern um Mangler, um Männer und Frauen, die mit sichelförmigen Klingen bewaffnet waren. Athanasius wandte sich erneut an Gentle.
    »Möchten Sie den Segen der Heiligen Mutter empfangen, 789

    bevor Sie sterben?« fragte er.
    Hinter Zacharias hatte bereits jemand mit einem Gebet begonnen. Er drehte sich um und bemerkte drei weitere Gegner: Zwei von ihnen trugen ähnliche Waffen wie die vier anderen, und der dritte - ein Mädchen, kaum älter als Huzzah, mit bloßem Oberkörper und weichen, zarten Zügen - eilte zwischen den Reihen hin und her und enthüllte Statuen. Keine glich der anderen. Es gab Jungfrauen aus Stein, Jungfrauen aus Holz und Jungfrauen aus Gips. Manche waren so primitiv gefertigt, daß man

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