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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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bereit.
    »Was wir nicht sind, gehört ebenfalls zu uns.« Er setzte das Glas auf dem Tisch ab, musterte Roxborough durchs 869

    Kerzenlicht und sah ihm in die schwarzen Augen. »Wir sind mit allem verbunden was war, ist und sein wird. Vom einen Ende Imagicas bis zum anderen. Vom winzigsten Staubkorn über dieser Flamme bis zu Gott.«
    Gentle holte tief Luft und gab Roxborough Gelegenheit zu einer Antwort. Doch der Mann schwieg.
    »Durch den Tod verlieren wir nichts von uns«, fuhr er fort.
    »Nein, wir wachsen, bis hin zur Größe der Schöpfung.«
    »Ja...«, murmelte McGann. Er preßte das Wort zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor, über denen die Lippen ein grimmiges Grinsen formten.
    »Magie ist ein Werkzeug«, erläuterte der Maestro. »Damit erreichen wir jene Offenbarung noch zu Lebzeiten.«
    »Was diese Offenbarung betrifft...«, warf Roxborough ein.
    »Gibt mansie uns Ihrer Meinung nach? Oder stehlen wir sie?«
    »Wir sind geboren, um möglichst viel Wissen zu sammeln.«
    »Wir sind geboren, um in unserer fleischlichen Hülle zu leiden«, sagte Roxborough.
    »Sie leiden vielleicht. Ich nicht.«
    Diese Antwort veranlaßte McGann zu schallendem Lachen.
    »Das Fleisch ist keine Strafe«, ließ sich der Maestro vernehmen. »Es dient dem Vergnügen. Aber es markiert auch den Ort, wo wir enden, wo der Rest der Schöpfung beginnt.
    Das glauben wir zumindest. Es handelt sich natürlich um eine Illusion.«
    »Gut«, sagte Godolphin. »Das gefällt mir.«
    »Wir mischen uns also in Gottes Angelegenheiten ein?«
    fragte Roxborough.
    »Kommen Ihnen plötzlich Bedenken?«
    »Ihm zittern bereits die Knie«, knurrte McGann.
    Roxborough warf ihm einen finsteren Blick zu.
    »Haben wir vielleicht geschworen, nicht zu zweifeln?«
    entgegnete er. »Wohl kaum. Warum verspottet man mich, obgleich ich nur eine einfache Frage gestellt habe?«
    870

    »Bitte entschuldigen Sie«, sagte McGann. »Ob wir uns in Gottes Angelegenheiten einmischen? Wie man's nimmt. Wir erledigen die Arbeit für Ihn. Stimmt's, Maestro?«
    »Möchte Gott, daß wir über uns selbst hinauswachsen?«
    intonierte Gentle. »Selbstverständlich. Möchte Gott, daß wir lieben, daß wir uns wünschen, verbunden und eins zu sein?
    Selbstverständlich. Möchte uns das göttliche Wesen im Schimmern Seiner Herrlichkeit sehen, für immer und ewig?
    Ja.«
    »Sie sprechen von einem ›göttlichen Wesen‹, nicht von einem Ihm«, stellte McGann fest. »Warum?«
    »Schöpfung und Schöpfer sind eins. Richtig oder falsch?«
    »Richtig.«
    »Und die Schöpfung hat nicht nur Männer hervorgebracht, sondern auch Frauen. Richtig oder falsch?«
    »Oh, richtig, richtig.«
    »Ein Umstand, für den ich sehr dankbar bin«, sagte Gentle und sah Godolphin an. »Besonders nachts und im Bett.«
    Joshua lachte sein Teufelslachen.
    »Die Gottheit vereint also sowohl Männliches als auch Weibliches in sich. Darum bezeichne ich sie als ›göttliches Wesen‹, als Es .«
    »Wohl gesprochen!« entfuhr es Joshua. »Ich werde nie müde, Ihnen zuzuhören, Sartori. Manchmal sind meine Gedanken wie Schlamm, aber wenn ich Ihnen eine Zeitlang gelauscht habe, verwandeln sie sich in reines Quellwasser!«
    »Hoffentlich sind sie nicht zu rein«, sagte der Maestro. »Wir sollten vermeiden, die Rekonziliation durch puritanische Seelen zu verderben.«
    »Sie kennen mich besser«, erwiderte Joshua und fing Gentles Blick ein.
    In Zacharias verdichtete sich die Vermutung, daß er keine sequentiellen Ereignisse beobachtete, die genau in dieser Reihenfolge stattgefunden hatten. Inzwischen war er ziemlich 871

    sicher, daß sein Unterbewußtsein einzelne Erinnerungsfetzen miteinander verknüpfte, während das Haus Reminiszenzen stimulierte. Unmittelbar darauf bekam er einen eindeutigen Beweis: McGann und Roxborough lösten sich einfach auf, verschwanden zusammen mit dem Kerzenschein, mit Karaffen, Gläsern und Speisen. Nur Joshua leistete ihm jetzt noch Gesellschaft, und Stille herrschte. Alle schliefen, bis auf diese beiden Verschwörer.
    »Ich möchte bei Ihnen sein, wenn Sie das Ritual durchführen«, sagte Godolphin. Ihm war nicht zum Lachen zumute, ganz im Gegenteil. Er wirkte besorgt und nervös. »Sie liegt mir sehr am Herzen, Sartori. Wenn ihr irgend etwas zustieße... Ich würde den Verstand verlieren.«
    »Es gibt nichts zu befürchten«, erwiderte Gentle und setzte sich an den Tisch. Vor ihm lag eine Karte von Imagica: Jede Domäne enthielt den Namen des jeweiligen Maestros und der

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