Imagica
für Judith?«
»Ich will jenes Wesen nie wiedersehen.«
»Aber sie gehört Ihnen, Joshua«, sagte der Maestro ruhig und ging langsam die Treppe hinunter. »Sie gehört Ihnen für immer und ewig. Sie wird weder altern noch sterben. Und sie 879
bleibt bei der Familie Godolphin, bis die Sonne erlischt.«
»Ich bringe sie um.«
»Um Ihr Gewissen mit dem Tod einer unschuldigen Seele zu belasten?«
»Sie hat keine Seele!«
»Ich habe Ihnen eine Judith versprochen, die sich nicht vom Original unterscheidet. Und eine solche Frau bekamen Sie von mir. Eine Religion. Eine Disziplin. Ein heiliges Mysterium.
Erinnern Sie sich?« Godolphin schlug die Hände vors Gesicht, und Gentle - Sartori - fuhr fort: »Sie ist die einzige unschuldige Seele weit und breit. Kümmern Sie sich um sie. Lieben Sie Ihre Judith, wie Sie noch nie eine Frau geliebt haben, denn sie symbolisiert Ihren einzigen Sieg.« Er griff nach Godolphins Händen und zog sie von dessen Gesicht fort. »Sie sollten unseren Ehrgeiz nicht zum Anlaß nehmen, sich zu schämen.
Und glauben Sie niemandem, der behauptet, der Teufel stecke dahinter. Wir haben allein aus Liebe gehandelt.«
»Was meinen Sie damit?« entgegnete Joshua. »Judiths Kopie? Oder die Rekonziliation?«
»Alles ist eins«, betonte Gentle. »Glauben Sie endlich daran.«
Godolphin ließ die Hände sinken. »Ich werde nie wieder an etwas glauben«, sagte er, drehte sich um und ging mit hängenden Schultern nach unten.
Gentle stand auf der Treppe und murmelte ein zweites Lebewohl, als sich das Erinnerungsbild verflüchtigte.
Nach jenem Abend hatte er Godolphin nie wiedergesehen.
Einige Wochen später zog sich Joshua auf sein Anwesen zurück und unterhielt keine Kontakte mehr zum Rest der Welt.
Dort lebte er in stummer Selbstkasteiung, bis die Verzweiflung ihm endgültig das Herz brach.
»Es war meine Schuld«, sagte der junge Mann hinter Gentle.
Er hatte Lucius ganz vergessen und wandte sich ihm nun zu.
»Nein«, widersprach er. »Du hast dir nichts vorzuwerfen.«
880
Lucius hatte sich inzwischen das Blut vom Kinn gewischt, aber er zitterte noch immer. Zwischen den einzelnen Worten klapperten ihm die Zähne.
»Ich habe mich genau an Ihre Anweisungen gehalten...«, versicherte er. »Das schwöre ich. Ich schwöre es bei allem, was mir heilig ist. Aber vielleicht unterlief mir ein Fehler beim Ritual. Oder... oder ich brachte die Steine durcheinander.«
»Wovon redest du da?«
»Von den Steinen, die Sie mir gegeben haben. Um die fehlerhaften Exemplare zu ersetzen.«
»Ich habe dir keine Steine gegeben, Lucius.«
»Doch, Maestro. Zwei. Ich sollte sie dem Kreis hinzufügen und die beiden ersetzten Steine vergraben. Erinnern Sie sich nicht mehr?«
Gentle begriff plötzlich, warum die Rekonziliation fehlgeschlagen war. Sein anderes Selbst, geboren im Obergeschoß dieses Hauses, hatte Lucius getäuscht und ihn benutzt, um einen Teil des Kreises auszutauschen und an der betreffenden Stelle Steine einzufügen, die den Originalen ähnelten - auch in den Adern des anderen Sartori floß Fälscherblut. An der Absicht konnte kaum ein Zweifel bestehen: Die Integrität des Kreises sollte während des Rituals beeinträchtigt werden.
John Furie Zacharias kannte nun den Grund für die Katastrophe. Aber Maestro Sartori wußte nichts von seinem im Verdoppelungskreis entstandenen Ebenbild, und daher blieb alles rätselhaft für ihn.
»Von mir hast du nie einen solchen Auftrag erhalten«, sagte er.
»Ich verstehe«, antwortete Lucius. »Sie bürden mir die Verantwortung auf. Deshalb brauchen Maestros Adepten -
damit jemand da ist, der für sie die Schuld trägt. Doch ich habe gebeten, in Ihre Dienste treten zu dürfen, und ich bin Ihnen dankbar, trotz allem.« Er griff in die Tasche. »Verzeihen Sie 881
mir, Maestro«, sagte er, holte ein Messer hervor und holte aus, um sich die Klinge ins Herz zu stoßen. Als die Spitze weiche Haut ritzte, hielt Sartori die Hand des jungen Mannes fest, zerrte ihm das Messer aus den Fingern und warf es zu Boden.
»Wer hat dir erlaubt, Selbstmord zu begehen?« fragte er scharf. »Ich dachte, du wolltest ein Adept sein.«
»Das wollte ich wirklich«, erwiderte Lucius.
»Aber dann hast du gesehen, wie der Maestro eine Niederlage hinnehmen mußte - und daraufhin interessierte dich die Sache nicht mehr.«
»Nein!« protestierte der junge Mann. »Ich wünsche mir noch immer Weisheit. Aber heute abend habe ich versagt.«
»Wir alle haben heute abend versagt«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher