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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Bemühungen und macht sie zunichte. Ich bin mein eigener Zerstörer, Bruder. Mir bleibt nichts anderes übrig, als mit der Vernichtung zu leben, bis zum Ende der Welt.«
    Im sechs Stockwerke weiter unten gelegenen Kerker gelang es Gentles Gefährten endlich, Celestine aus dem Labyrinth ins Licht zu locken. Als Clem den Raum betrat, fand er eine recht schwache Frau vor, aber eine Zeitlang lehnte sie Trost und Hilfe ab. Es sei ihr lieber, im Keller zu bleiben und dort zu sterben. Clem hatte in den nächtlichen Straßen der Stadt genug Erfahrungen gesammelt, um zu wissen, wie man mit Aufsässigen umging. Er widersprach ihr nicht, verharrte jedoch in der Kammer, wartete an der Mauer und meinte, sie hätte vermutlich recht: Was nützte es schon, die Sonne zu sehen?
    Nach einer Weile protestierte sie dagegen. Sie vertrete eine ganz andere Ansicht, betonte Celestine, und wenn er auch nur einen Funken Anstand besäße, so nähme er Anteil an ihrer Situation und brächte ihr Mitgefühl entgegen. Wollte er etwa, daß sie wie ein Tier starb, in irgendeinem finsteren Loch?
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    Clem gestand seinen Irrtum ein und erklärte die Bereitschaft, sie nach oben zu bringen, wenn das ihr Wunsch sei. Als diese Taktik zum Erfolg führte, beauftragte er Montag, Judes Wagen zu holen und direkt vor dem Turm zu parken. Dann ging es darum, Celestine behutsam nach draußen zu geleiten. Am Loch in der Kerkermauer kam es zu einer kritischen Phase, als die Frau Judith sah und darauf hinwies, daß sie nichts mit der Verdorbenen zu tun haben wollte. Jude schwieg, und Clem - er war das personifizierte Taktgefühl - bat sie, nach oben zu gehen und Decken aus dem Wagen zu holen. Anschließend begleitete er Celestine zur Treppe. Es handelte sich um eine recht mühsame Angelegenheit. Mehrmals blieb die Frau stehen, hielt sich an Clem fest und sagte, daß sie keineswegs aus Furcht zittere; es läge vielmehr daran, daß ihr Körper nicht an solche Freiheit gewöhnt sei. Wenn irgend jemand -
    insbesondere die Verdorbene - das Zittern erwähnte, sollte Clem die Betreffenden zum Schweigen bringen.
    Im einen Augenblick klammerte sie sich an ihm fest, und im nächsten verbot sie ihm, sich dauernd auf sie zu stützen. Hier ging sie langsam, konnte kaum mehr einen Fuß vor den anderen setzen, und dort straffte sie sich mit übernatürlicher Kraft. Die Treppe hoch, eine Stufe nach der anderen... Nach zweihundert Jahren verließ Roxboroughs Gefangene die Dunkelheit.
    Wie sich herausstellte, hielt der Turm noch weitere Überraschungen bereit. Als Clem Celestine durchs Foyer führte, blieb er plötzlich stehen, sah zur Tür und beobachtete den hereinglänzenden Sonnenschein. Blütenstaub von den draußen wachsenden Pflanzen tanzte im Licht, wogte und wallte, obgleich kein Wind wehte.
    »Wir haben einen Besucher«, sagte Clem.
    »Wo?« fragte Judith.
    »Dort vorn.«
    Sie spähte ins Licht. Zwar konnte sie nichts erkennen, das 1051

    auch nur entfernt einer menschlichen Gestalt ähnelte, doch der Tanz des Blutenstaubs unterlag keineswegs dem Zufall. Etwas steuerte ihn, und offenbar wußte Clem, von wem der organisierende Einfluß ausging.
    »Taylor«, sagte er bewegt. »Taylor ist hier.«
    Stumm wandte er sich an Montag, der sofort verstand und ihn an Celestines Seite ablöste. Die Frau war einmal mehr der Ohnmacht nahe gewesen, doch jetzt hob sie den Kopf und hielt aufmerksam Ausschau, als sich Clem dem Licht in der Tür näherte.
    »Du bist es, nicht wahr?« fragte er leise.
    Die Antwort bestand darin, daß sich die Pollenwolken noch heftiger bewegten.
    »Dachte ich mir.« Clem blieb zwei Meter vor der Tür und dem Strahlen stehen.
    »Was will er?« erkundigte sich Judith. »Kannst du das feststellen?«
    Clem blickte zu ihr zurück. Sein Gesicht zeigte sowohl Ehrfurcht als auch Besorgnis.
    »Er möchte, daß ich ihn aufnehme«, sagte er. »Er möchte in mir sein.« Er klopfte sich auf die Brust. »Hier drin.«
    Jude lächelte. Bisher hatte der Tag kaum gute Nachrichten gebracht, aber hier war endlich eine: Hier kündigte sich eine Verbindung an, die sie nie für möglich gehalten hätte. Doch Clem zögerte und wahrte einen gewissen Abstand zu dem Licht.
    »Ich frage mich, ob ich dazu imstande bin«, hauchte er.
    »Er wird dir kein Leid zufügen«, entgegnete Jude.
    »Ich weiß.« Er sah nun wieder zum Licht. Der Tanz des Blutenstaubs wirkte immer hektischer. »Es geht nicht um Schmerz...«
    »Um was dann?«
    Clem schüttelte den Kopf.
    »Ich habe ein solches

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