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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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um sicher zu sein, daß sie alle gute Absichten hegten.
    Als die Zurückgekehrte ihren Bericht beendet hatte, sagte der Maestro:
    »Ich bin ebenfalls in Yzordderrex gewesen. Dort hat sich eine Menge verändert.«
    »Zum Besseren«, betonte Judith.
    »Ich mag keine Zerstörung, selbst wenn sie pittoresk erscheint«, erwiderte Gentle.
    Daraufhin bedachte sie ihn mit einem seltsamen Blick, schwieg jedoch.
    »Sind wir hier sicher?« Hoi-Pollois Frage galt niemandem im besonderen. »Es ist so dunkel.«
    »Natürlich sind wir hier sicher.« Montag legte ihr den Arm um die Schultern. »Wir haben alles verriegelt und verrammelt.
    Er kann nicht herein, Boß, oder?«
    »Wer?« erkundigte sich Jude.
    »Sartori«, sagte der Junge.
    »Ist er in der Nähe?«
    Gentle blieb stumm - und das war Antwort genug.
    »Und ihr glaubt, einige Schlösser könnten verhindern, daß er ins Haus gelangt?« fragte Judith.
    »Können sie es nicht?« entgegnete Hoi-Polloi.
    »Von solchen Dingen läßt sich der ehemalige Autokrat wohl kaum aufhalten.«
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    »Kommt darauf an«, sagte Gentle. »Wenn die Rekonziliation beginnt, strömt Macht durchs Haus - die Macht meines Vaters.«
    Offenbar nahm er an, daß sich Sartori von einer solchen Präsenz abgestoßen fühlen würde, aber auch Judith spürte so etwas wie Abscheu. Sie versuchte, sich nichts davon anmerken zu lassen.
    »Er ist dein Bruder«, erwiderte sie. »Vielleicht möchte er an dem teilhaben, was hier geschieht. Und wenn er sich diesen Wunsch erfüllen will, so kann ihn nichts daran hindern.«
    Gentle musterte sie ernst.
    »Wenn er an dem teilhaben will, was hier geschieht?«
    wiederholte er langsam. »Meinst du damit die Macht - oder dich?«
    »Beides.«
    Der Rekonziliant zuckte mit den Schultern. »Nun, in dem Fall mußt du wählen«, sagte er. »Du hast schon einmal eine Wahl getroffen, und sie stellte sich als falsch heraus. Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, ein wenig Vertrauen zu haben, Jude.« Er stand auf. »Teile mit uns, was wir bereits wissen.«
    »Und das wäre?«
    »Hier wird eine Legende geboren. In einigen Stunden ist es soweit.«
    »Ja«, freute sich Montag.
    Gentle lächelte. »Gebt hier gut auf euch acht.« Er verließ das Zimmer.
    Judith ließ sich von Clem aufhelfen, und als sie die Tür erreichte, war der Maestro schon auf der Treppe. Sie schwieg, doch er verharrte trotzdem, verzichtete jedoch darauf, sich umzudrehen.
    »Ich will nichts davon hören«, sagte er.
    Dann setzte er sich wieder in Bewegung und brachte eine Stufe nach der anderen hinter sich. Dabei ließ er die Schultern hängen, und seine Haltung deutete darauf hin, daß nicht nur in 1205

    Judith Zweifel wohnte, sondern auch in ihm. Vielleicht vermied er es deshalb, sie anzusehen: aus Furcht davor, daß Skepsis und Unsicherheit in ihm wuchsen und die Zuversicht des Rekonzilianten tilgten.
    Der Duft der Blätter erwartete Gentle auf der Schwelle und verdrängte den unangenehmeren Geruch, der von den dunklen Straßen kam. Abgesehen davon bot das Zimmer keinen Trost -
    dieser Raum, in dem er einst gelacht und die Rätsel des Universums diskutiert hatte. Jetzt schien dieser Ort eine zu große Last aus Vergangenem zu tragen, viel zu sehr von Magie und Zauber geprägt zu sein, um sich für die Zeremonie zu eignen. Gentle rief sich innerlich zur Ordnung. Eben habe ich Jude aufgefordert, mehr Vertrauen zu haben. Der Geographie allein kam keine Macht zu. Die Wunder wurzelten im Glauben des Maestros und in dem Willen, der aus dieser festen Überzeugung hervorging.
    Er entkleidete sich, um für das Ritual bereit zu sein, und schritt nackt zum Kaminsims, um dort die Kerzen zu nehmen und sie am Kreis aufzustellen. Doch das flackernde Licht der Flammen riet ihm zu einem Gebet, und er sank auf die Knie, senkte demütig das Haupt. Das Vaterunser fiel ihm ein, und er sprach die Worte laut aus - sie kündeten von einem Empfinden, das den gegenwärtigen Umständen gerecht wurde. Doch wenn diese Nacht zu Ende ging, war das Gebet ein Museumsstück, ein Relikt aus der Zeit, bevor Sein Reich gekommen, Sein Wille geschehen war.
    Der Maestro verstummte plötzlich, als ihn etwas am Nacken berührte. Er öffnete die Augen, hob den Kopf und drehte sich halb um. Das Zimmer war leer, doch er spürte noch immer ein sanftes Prickeln an der Stelle des Kontakts. Von einem Augenblick zum anderen wußte er: Es handelte sich nicht in dem Sinne um einer Erinnerung, sondern um einen Hinweis auf den Lohn, der ihn nach der Arbeit dieser

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