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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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gemalte Auge - bei ihrem Angriff hatten die Oviaten die Pupille zerstört. Sein Blick fiel auf den eigenen Körper neben Clem. Dann die Treppe. Und Judith, die nach oben ging.
    Und der Raum am Ende der Treppe; der Kreis im Zimmer; sein Bruder darin; die vor den Steinen hockende Mutter.
    »Cel. Est. Ine«, sagte der Gott. »Cel. Est. Ine.«
    Diese Silben wurden nicht von Sartoris Stimme formuliert, obgleich ihnen seine Lippen Form gaben. Judith hatte jetzt das obere Ende der Treppe erreicht und konnte das Gesicht des früheren Autokraten ganz deutlich erkennen. Noch immer glänzte die Feuchtigkeit von Tränen darin, aber abgesehen davon war es völlig ausdruckslos. Zum erstenmal in ihrem Leben betrachtete sie nun eine Miene, in der selbst jede Andeutung von Gefühl fehlte. Sartori war jetzt nur mehr ein Gefäß, das von einem anderen Selbst gefüllt wurde.
    »Sohn?« fragte Celestine.
    »Weich von ihm zurück«, murmelte Judith.
    Die Frau am Steinkreis erhob sich langsam. »Du klingst irgendwie seltsam, Sohn.«
    Erneut erklang die Stimme, und unüberhörbarer Zorn vibrierte in ihr.
    »Ich bin nicht. Dein. Sohn.«
    »Du wolltest meinen Trost«, sagte Celestine. »Nimm ihn nun in Empfang.«
    Sartori sah zu ihr auf, aber es blickte auch noch ein anderes Ich aus seinen Augen.
    »Komm mir nicht. Zu. Nahe«, brummte er.
    »Ich möchte dich umarmen.« Celestine wandte sich nicht ab.
    Ganz im Gegenteil. Sie trat über die Steine hinweg in den 1285

    Kreis.
    Die Gek-a-gek auf dem Treppenabsatz gerieten nun in Panik
    - ihr heimlicher Rückzug verwandelte sich in einen Tanz des Entsetzens. Sie rammten ihre Köpfe an die Wand und schienen bereit zu sein, das eigene Gehirn zu zerquetschen, um nicht mehr der Stimme lauschen zu müssen, die aus Sartoris Mund drang. Jene monströse Stimme wiederholte jetzt immer wieder:
    »Komm mir nicht. Zu. Nahe. Komm mir nicht. Zu. Nahe.«
    Aber Celestine ließ sich nicht abweisen. Vor Sartori sank sie auf die Knie und sprach nun nicht zu ihrem Sohn, sondern zum Vater, zu dem Gott, der sie in die Stadt der Greuel geholt hatte.
    »Ich möchte dich berühren, Liebster«, sagte sie. »Ich möchte dich berühren, so wie du mich damals berührt hast.«
    »Nein!« heulte Hapexamendios, doch Sartoris Arme verweigerten Ihm den Gehorsam und versuchten nicht, die Umarmung zu verhindern.
    »Nein!« schrie der Gott noch einmal. Celestine achtete nicht darauf, sondern schlang beide Arme um den Sohn, in dem auch das Ich des Vaters weilte.
    Die Stimme des Gottes formte jetzt keine Worte mehr, sie verursachte nur noch ein jämmerliches und gleichzeitig grauenhaftes Geräusch.
    In der Ersten Domäne sah Gentle, wie die Blitze über dem Haupt seines Vaters zu einer einzigen Flamme wurden, die wie ein Meteor fortraste.
    In der Zweiten beobachtete Chicka Jackeen, wie die Rasur zu glühen begann, und kniete nieder. Er glaubte, daß sich ein Fanal ankündigte, das auf den Triumph hinwies, auf die erfolgreiche Rekonziliation.
    Die Göttinnen in Yzordderrex wußten es besser. Als das Feuer aus der Rasur kam und die Zweite Domäne erreichte, kam das Wasser am Tempel plötzlich zur Ruhe, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Mütter geboten ihren Kindern Stille; Teiche, Tümpel und Bäche erstarrten. Doch das lodernde 128
    6

    Unheil hatte ein anderes Ziel, gleißte über die Stadt hinweg, ohne Schaden anzurichten. Neben seinem Flackern verblaßte der Glanz des Kometen.
    Als von den Flammen nichts mehr zu sehen war, wandte sich Gentle wieder an seinen Vater.
    »Was hast du getan?« fragte er.
    Die Aufmerksamkeit des Gottes verweilte noch eine Zeitlang in der Fünften, doch als Gentle die Frage wiederholte, zog Er Seinen Geist zurück. In den Augen der großen Gestalt irrlichterte es.
    »Ich habe der Hure ein Feuer geschickt«, sagte Er. Jetzt sprachen keine Flammen mehr, sondern eine Multi-Stimme.
    »Warum?«
    » Weil sie dich verdarb. Durch ihre Schuld wünschtest du dir Liebe...«
    »Ist das so schlimm?«
    »Mit Liebe kann man keine Städte bauen«, erwiderte der Gott. »Mit Liebe kann man keine großen Werke vollbringen.
    Liebe bedeutet Schwäche.«
    »Und Nisi Nirwana?« fragte Gentle. »Ist das ebenfalls Schwäche?«
    Er kniete und preßte substanzlose Hände auf den Boden.
    Hier fehlte ihnen Macht - andernfalls hätte er damit begonnen zu graben. Als Geist blieb es ihm verwehrt, in den Boden vorzudringen. Jene Barriere, die ihn von seinem Vater fernhielt, hinderte ihn auch daran, einen Blick in die Unterwelt dieser

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