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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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schnell mit dem Rest des domänengroßen Selbst vereinte, gab es für die Flammen kein Ziel mehr. Was die Hoffnung betraf... Nur wenn der Gott seine Gestalt aufgab, konnte Gentle hoffen, Pie'oh'pah zu lokalisieren. Die Barriere vor dem deformen Leib verlor an Festigkeit, als Hapexamendios den Vorgang der Destrukturierung beschleunigte.
    Noch hielt der Geist Gentles vergeblich nach dem Mystif Ausschau, aber er beschloß trotzdem, schon jetzt zu versuchen, in den Körper des Vaters vorzustoßen. Das göttliche Wesen mochte überrascht und verwirrt sein, aber es ließ sich nicht so leicht überlisten. Als Gentle näher kam, packte ihn ein Wille, dem er sich nicht widersetzen konnte.
    » Was ist das?« fragte Hapexamendios zum dritten Mal.
    Der Sohn entschied, wahrheitsgemäß zu antworten -
    vielleicht gelang es ihm, dadurch noch einige Sekunden Zeit zu gewinnen.
    »Imagica ist ein Kreis«, sagte er.
    »Ein Kreis?«
    »Du fühlst dein Feuer, Vater. Dein eigenes Feuer flog durch den Kreis, und nun erreicht es wieder seinen Ausgangspunkt.«
    Diesmal verzichtete Hapexamendios auf Worte. Er begriff sofort die Bedeutung von Gentles Hinweis und gab den Sohn frei, um Seine ganze Willenskraft dem Bemühen zu widmen, die eigene Gestalt aufzulösen.
    Der alles andere als attraktive Körper entfaltete sich, und darin wurde noch einmal Pie sichtbar. Diesmal sah der Mystif den Besucher aus der Fünften - er bewegte schwache Gliedmaßen und trachtete ganz offensichtlich danach, Fesseln abzustreifen. Gentle spürte, wie der Einfluß seines Vaters auf 129
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    ihn nachließ, und er befahl sein Ich nach vorn. Doch bevor er Pie'oh'pah erreichen konnte, wurde der Boden unter dem Gefangenen instabil. Der Mystif hob die Arme, um sich irgendwo in dem Körper festzuhalten, doch der Leib des Gottes zerfiel jetzt zu schnell. Ein Grab öffnete sich unter Pie, und mit einem letzten verzweifelten Blick auf Gentle stürzte er in die Tiefe.
    Der Maestro neigte den Kopf nach hinten, doch sein Heulen verlor sich im Schrei des Vaters, der das Gebaren Seines Sohnes nachzuahmen schien und ebenfalls gen Himmel starrte.
    Aber in Seiner Stimme ertönte kein Kummer, sondern Wut, während er zuckte und zappelte, um die restlichen Verbindungen im Leib zu unterbrechen und ihn ganz mit der übrigen Materie zu vereinen.
    Hinter Ihm gleißte es. Als das Feuer kam, glaubte Gentle, das Gesicht seiner Mutter darin zu erkennen, geformt aus Glut und Asche: Mit weit aufgerissenen Augen und geöffnetem Mund raste sie dem Gott entgegen, der sie vergewaltigt, verstoßen und schließlich getötet hatte. Ein kurzer Blick, mehr nicht..., dann leckten die Flammen nach ihrem Schöpfer und brannten mit der gleichen Erbarmungslosigkeit wie zuvor in der Fünften.
    Gentle dachte sich einfach fort, aber sein Vater - die Welt war Sein Fleisch; Sein Fleisch war die Welt - konnte dem hungrigen Lodern nicht entkommen. Der Fötuskopf brach auseinander, und das Feuer verschlang die Splitter, verkohlte Herz und Eingeweide, fraß sich durch die so unterschiedlich geformten Glieder, verbrannte alles, von den Fingerspitzen bis hin zu den Zehen.
    Die Konsequenzen für Seine Stadt ergaben sich sofort und waren katastrophal. Alle Straßen vom einen Ende der Domäne bis zur anderen bebten, als sich die Kunde vom Verderben ausbreitete. Gentle brauchte das nun beginnende Chaos nicht zu fürchten, aber es entsetzte ihn trotzdem. Immerhin war dies 1291

    sein Vater, und es bereitete ihm weder Freude noch Vergnügen, den Tod jenes Körpers zu beobachten, der ihn gezeugt hatte. Erhabene Türme wankten, und ihre Ornamente fielen in einem wirren Regen herab. Torbögen legten das Tarngewand des Steins ab und gaben zu erkennen, daß sie aus Fleisch bestanden. Das Straßenpflaster hob und senkte sich, wurde zu Haut, während die Häuser ihre knöchernen Dächer abwarfen. Trotz des allgemeinen Zusammenbruchs blieb Gentle dort, wo sein Vater verbrannt war, in der Hoffnung, Pie'oh'pah zu finden. Doch offenbar hatte Hapexamendios noch im Tod verhindert, daß die beiden Liebenden erneut zu einem Paar werden konnten: indem er den Boden öffnete und den Mystif in Seinen nun verwesenden Leib aufnahm, auf daß er Ihn in den Tod begleitete.
    Dem Rekonzilianten blieb nichts anderes übrig, als die Stadt ihrem Zerfall zu überlassen. Er brach auf, doch für die Heimkehr wählte er eine andere Route und entschied sich dagegen, noch einmal alle Domänen zu durchqueren. Als er in die Richtung flog, aus der das Feuer

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