Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
Vom Netzwerk:
Teil des Vaters sah. Hapexamendios war eine Stadt in der Größe einer ganzen Welt. Wenn jene Macht, die eine solche Metropole geschaffen hatte und dafür sorgte, daß Blut aus Licht in den glühenden Strängen floß, jemals zur Vernichtung verwendet wurde... Im Vergleich dazu erschienen die Nullianacs harmlos.
    Bisher war Gentle mit gleichmäßigen ›Schritten‹ gegangen, aber nun zwang ihn etwas, langsamer zu werden. Zwar weilte er als Geist an diesem Ort und hatte bisher geglaubt, daß es keine Barrieren für ihn gab, aber nun spürte er eine - sie verdichtete die Luft. Er ignorierte sie ebenso wie die Furcht vor der Macht seines Vaters. Wenn er jetzt zurückgewichen wäre, hätte er keine Möglichkeit mehr bekommen, das Gespräch fortzusetzen.
    » Wo ist der pflichtbewußte, gehorsame Sohn, den ich einst hatte?« fragte Hapexamendios.
    »Hier«, sagte Gentle. »Und er hält an der Bereitschaft fest, dir zu dienen. Allerdings erwartet er dafür die Ehrlichkeit des Vaters.«
    Im göttlichen Schädel flackerte es heller, und diesmal blieben die Blitze nicht nur auf den Kopf beschränkt, sondern zuckten daraus hervor und rasten durch die Schwärze über dem Unerblickten. Bilder zeichneten sich im energetischen Wabern 128
    2

    ab: Gedankensplitter aus Feuer. Eine Szene betraf Pie.
    »Der Mystif geht dich nichts an«, behauptete Hapexamendios. »Er gehört Mir.«
    »Nein, Vater.«
    »Er gehört Mir.«
    »Ich habe ihn geheiratet, Vater.«
    Die Blitze verblaßten für einige Sekunden, und der Gott kniff die breiigen Augen zusammen.
    »Er erinnerte mich an meine Aufgabe«, sagte Gentle. »Er erinnerte mich daran, ein Rekonziliant zu sein. Ohne Pie'oh'pahs Hilfe wäre ich jetzt nicht hier. Ohne ihn wären die Domänen nicht zusammengeführt worden.«
    »Vielleicht hat er dich früher geliebt...« , lautete die mehrstimmige Antwort. »Aber jetzt möchte ich, daß du ihn vergißt. Tilge ihn aus deinem Gedächtnis, für immer.«
    »Warum?«
    Die Reaktion des Gottes war typisch für einen Vater, dessen Sohn zu viele Fragen stellt.
    » Weil ich es will.«
    Doch damit gab sich Gentle nicht zufrieden.
    »Was weiß Pie'oh'pah, Vater?« hakte er nach.
    »Nichts.«
    »Weiß er vielleicht von Nisi Nirwana? Hältst du ihn deshalb gefangen?«
    Das Feuer im Kopf des Gottes loderte heller.
    » Wer hat dir davon erzählt?« donnerte es.
    Der Körperlose hielt es für sinnlos, jetzt zu lügen.
    »Meine Mutter«, erwiderte er.
    Von einer Sekunde zur anderen endeten alle Bewegungen in dem wie aufgequollenen Leib - das galt selbst für das Herz.
    Nur die Blitze flackerten auch weiterhin. Das nächste Wort kam nicht aus mehreren Kehlköpfen, sondern aus dem Feuer: drei gefauchte Silben.
    » Cel. Est. Ine.«
    1283

    »Ja, Vater.«
    »Sie ist tot«, sagte das Brennen und Lodern.
    »Nein, Vater. Noch vor kurzer Zeit lag ich in ihren Armen.«
    Gentle hob seine transparente Hand. »Sie hielt diese Finger und küßte sie. Und sie bat mich...«
    »Ich will nichts mehr hören!«
    »... dich zu erinnern...«
    »Wo ist sie?«
    »...an Nisi Nirwana.«
    » Wo ist sie? Wo? Wo?«
    Die Phase der Erstarrung fand ein jähes Ende. Wütend richtete Er sich auf und hob die mißgestalteten Arme hoch über den Kopf, als wollte Er sie in Seinen eigenen Flammen baden.
    »Wo ist sie?« heulte Er mit zwei Stimmen. Die eine kam aus dem Mund, die andere aus dem Flackern. »Ich will sie sehen!
    Ich will sie sehen!«
    Judith verließ ihren Platz auf der Treppenstufe. Die Gek-agek hatten mit einem kehligen Winseln begonnen - ein Geräusch, das noch beunruhigender wirkte als ihr warnendes Grollen. Sie hatten Angst und wichen nun von der Tür des Meditationszimmers fort, wie Hunde, die Schläge fürchteten.
    Mit gesenktem Kopf und zitternden Flanken schoben sie sich beiseite.
    Jude sah nach unten: Die beiden Schutzengel standen noch immer neben dem verwundeten Maestro; Montag und Hoi-Polloi traten ins Kerzenlicht, als erwarteten sie Schutz von dem matten Glühen.
    »O Mutter...«, flüsterte Sartori.
    »Ja, Sohn?«
    »Er sucht nach uns, Mutter.«
    »Ich weiß.«
    »Fühlst du es?«
    »Ja, Sohn, ich fühle es.«
    »Bitte umarme mich, Mutter. Halt mich fest.«
    128
    4

    »Wo? Wo?« kreischte der Gott. In den Flammen über Seinem Kopf zeigten sich nun Streiflichter der göttlichen Perspektive: die silberne Schlange eines Flusses; eine Stadt, nicht annähernd so prächtig wie die Metropole der Ersten; eine bestimmte Straße; ein bestimmtes Haus. Gentle sah das von Montag

Weitere Kostenlose Bücher