Imagica
oben floß, oder Bäume mit exotischen Früchten... Zutiefst beeindruckt bahnten sie sich einen Weg durch das Dickicht und trennten sich dabei nach und nach von dem Ballast des Gepäcks, das sich während der langen Reise angesammelt hatte. Die einzelnen Objekte blieben hinter ihnen im Gras liegen.
Gentle wollte das Eurhetemec-Kesparat aufsuchen, weil er hoffte, dort Athanasius zu finden, aber angesichts der völlig veränderten Stadt fiel ihm die Orientierung schwer. Der 133
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Maestro und der Junge verdankten es reinem Glück, daß sie bereits nach einer guten Stunde zum Tor des entsprechenden Viertels gelangten. Die Straßen jenseits davon waren ebenfalls überwuchert, und ihre Terrassen ähnelten denen eines vernachlässigten Obstgartens; letzteres auch im Hinblick auf die vielen Früchte, die zwischen den Bäumen lagen.
Auf Montags Vorschlag hin gingen sie auseinander, um in verschiedenen Richtungen nach dem Priester zu suchen. Gentle wies seinen Begleiter auf folgendes hin: Wenn er irgendwo Jesus in oder an einem Baum sehe, dann habe er Athanasius gefunden. Doch die Suche blieb erfolglos, und schließlich wandte sich Gentle an einige Kinder, die vor dem Tor spielten, und fragte sie, ob sie etwas von dem Mann wüßten, der hier gewohnt hatte.
»Er ging fort«, antwortete ein sechs oder sieben Jahre altes Mädchen. Blätter und kleine Ranken flochten sich durch sein langes Haar, und dadurch hatte es den Anschein, als verwandelte sich das Kind allmählich in eine Pflanze.
»Und wohin?« erkundigte sich Gentle.
»Keine Ahnung.«
»Weiß einer deiner Freunde darüber Bescheid?«
»Nein.« Das Mädchen sprach nun für die ganze Gruppe.
Daraufhin hatte es keinen Sinn mehr, das Thema Athanasius zu erörtern.
»Was nun?« fragte Montag, als die Kinder wieder spielten.
»Wir folgen dem Wasser«, sagte der Rekonziliant.
Sie begannen mit dem Aufstieg. Über ihnen glitt der Komet durch den Zenit und neigte sich nun am Firmament nach unten.
Gentle und Montag waren recht müde; mit jedem Schritt wuchs die Versuchung, sich irgendwo hinzulegen und zu schlafen.
Doch der Maestro bestand darauf, den Weg fortzusetzen. Er stellte dem Jungen die Möglichkeit in Aussicht, an Hoi-Pollois Busen auszuruhen, der sicher mehr Behaglichkeit gewährte als selbst das weichste Gras. Und ihre Küsse mochten noch viel 1331
erfrischender sein als das Bad im kühlen Wasser eines Teichs.
Diese Hinweise verliehen Montag eine Kraft, um die Gentle ihn beneidete: Er eilte voraus und konnte es plötzlich nicht mehr abwarten, das Ziel zu erreichen. Nach einer Weile gelangten sie zu einigen Geröllhaufen, die an den Palastwall erinnerten. Zwei mächtige, hohe Säulen ragten auf, doch zwischen ihnen befanden sich keine großen Torflügel mehr -
sie waren dem Wasser zum Opfer gefallen. Seine Fluten kletterten nun an der rechten Säule hoch, sprangen von ihrer Spitze zur anderen und formten einen Vorhang aus Nässe. So etwas sah Gentle nun zum erstenmal, und er bestaunte das Phänomen so sehr, daß er eine Zeitlang auf nichts anderes achtete.
Montag ging an den Säulen vorbei, und einige Sekunden später erklang seine Stimme.
»Boß?Boß!«
Gentle setzte sich wieder in Bewegung und passierte den warmen Regen zwischen den beiden Säulen. Jenseits davon watete der Junge durch einen Hof, in dem Seerosen herrliche Farben präsentierten. Auf der anderen Seite stand Hoi-Polloi: Das Haar klebte ihr am Kopf, als wäre sie gerade durchs Wasser geschwommen, und nichts bedeckte den Busen, dem Montags Sehnsucht galt.
»Also seid ihr doch noch gekommen«, sagte sie und blickte zu Gentle hinüber.
Der Junge rutschte aus, verlor das Gleichgewicht und fiel.
Seerosen schwappten auf Wellen hin und her, als sich Montag wieder aufrichtete.
»Du hast uns erwartet?« fragte er.
»Natürlich«, erwiderte Hebberts Tochter. »Nicht unbedingt dich, aber den Maestro. Wir wußten, daß der Maestro beabsichtigte, diesen Ort aufzusuchen.«
»Aber du freust dich doch auch darüber, mich zu sehen, nicht wahr?« entfuhr es Montag. »Ich meine, du bist doch froh, 133
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oder?«
Hoi-Polloi breitete die Arme aus.
»Was glaubst du?« erwiderte sie.
Der Junge juchzte und stapfte ihr durchs Wasser entgegen, unterwegs zog er sich das nasse Hemd aus. Gentle folgte ihm.
Als er das gegenüberliegende ›Ufer‹ erreichte, trug Montag nur noch Unterwäsche.
»Woher wußtest du von unserer Reise hierher?« wandte sich Gentle an die junge Frau.
»Es gibt viele
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