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Imagica

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Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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zusammengeführt, konserviert und geheilt werden konnten. Er wußte, welche Öle in den Leichnam fließen und welche 177

    Kräuter in seiner Nähe brennen mußten. In der Schatzkammer befand sich sogar eine phonetische Version des Rituals, von
    ›Sünder‹ für den Fall vorbereitet, daß Dowd etwas zustieße. Es mangelte Godolphin an Informationen darüber, wie lange der Vorgang dauerte, aber er wagte es nicht, unters Laken zu spähen und festzustellen, ob das Leben ins tote Fleisch zurückkehrte. Er konnte nur warten und hoffen, daß er alles Notwendige erledigt hatte.
    Um vier Minuten nach vier bekam er eine Bestätigung dafür, daß ihm kein Fehler unterlaufen war. Unter dem Tuch schnappte jemand nach Luft, und eine Sekunde später setzte sich Dowd auf. Die Bewegung kam so plötzlich, daß Oscar erschrak, heftig zusammenzuckte, aufsprang und dabei den Stuhl umstieß. Der Almanach fiel ihm aus der Hand. Er hatte viele Dinge gesehen, die den meisten Bewohnern der Fünften Domäne als Wunder erschienen wären, doch nie zuvor in einem so schäbigen Raum, hinter dessen Wänden sich eine Welt des Banalen erstreckte. Mühsam faßte er sich und suchte nach den richtigen Worten für ein Willkommen, aber sein Mund war vollkommen trocken. Er starrte einfach nur. Dowd strich das Laken beiseite und blickte auf die eigenen Hände hinab - sein Gesicht war so leer wie die Augen der Voider an der gegenüberliegenden Wand.
    Irgend etwas ist schief gegangen, fuhr es Godolphin durch den Sinn. Ich habe den Körper zurückgebracht, aber er enthält nicht die Seele. Lieber Himmel - was jetzt?
    Zunächst blieb Dowds Miene völlig ausdruckslos. Dann zeigte er das gleiche Verhalten wie eine Puppe, in die sich eine Hand hineinschiebt, um ihr die Illusion von Leben und Unabhängigkeit zu verleihen. Er hob den Kopf, und das Schlaffe wich aus den Zügen, wurde von Zorn ersetzt. Das Wesen kniff die Augen zusammen und bleckte die Zähne.
    »Sie haben mir unrecht getan«, sagte er. »Noch dazu auf eine schreckliche Art.«
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    Oscar sammelte Speichel so dick wie Schlamm. »Es handelte sich um eine notwendige Maßnahme«, erwiderte er, entschlossen dazu, sich von dem Geschöpf nicht einschüchtern zu lassen. Joshuas Bann war mächtig, und das bedeutete: Es durfte keinem Godolphin ein Leid zufügen, ganz gleich, wie sehr es sich das wünschte.
    »Womit habe ich eine derartige Demütigung verdient?«
    fragte Dowd.
    »Ich mußte meine Treue zur Tabula Rasa beweisen. Den Grund dafür verstehst du sicher.«
    »Soll ich auch weiterhin gedemütigt werden?« entgegnete Dowd. »Darf ich nicht wenigstens meine Blöße bedecken?«
    »Dein Anzug ist schmutzig.«
    »Ich ziehe schmutzige Kleidung der Nacktheit vor«, sagte Dowd.
    Die Sachen lagen auf dem Boden, einige Meter von dem Geschöpf entfernt, doch es ignorierte sie. Oscar ahnte, daß Dowd seine Reue auf die Probe stellen wollte, und er beschloß, auf seinen Diener einzugehen, zumindest dieses eine Mal. Er nahm die Kleidungsstücke und legte sie in Dowds Reichweite.
    »Ich wußte, daß dich ein Messer nicht töten kann«, meinte er.
    »Dann wußten Sie mehr als ich«, antwortete Dowd. »Aber darum geht es auch gar nicht. Ich hätte mich auf jede von Ihnen gewünschte Weise verhalten. Mehr als das: Ich wäre mit Freuden bereit gewesen, für Sie zu sterben.« Er sprach im Tonfall eines zutiefst beleidigten Mannes. »Aber Sie verschworen sich gegen mich, ließen mich leiden wie einen gewöhnlichen Verbrecher.«
    »Alles mußte absolut echt wirken, um zu verhindern, daß die Gruppe Verdacht schöpft.«
    »Oh, ich verstehe.« Dowd schnitt eine Grimasse - Oscars Rechtfertigung besänftigte ihn nicht etwa, sondern schürte das Feuer der Empörung. »Sie hatten kein Vertrauen zu meinen 179

    schauspielerischen Instinkten. Ich kenne alle von Quexos verfaßten Stücke und habe die wichtigsten Rollen selbst gespielt.
    Aber sie glaubten, ich sei von einer einfachen Todesszene überfordert.«
    »Tut mir leid.«
    »Das Messer hat erhebliche Schmerzen verursacht, aber dies... «
    »Ich entschuldige mich in aller Form«, sagte Godolphin.
    »Ohne Zweifel bin ich rücksichtslos und gemein zu dir gewesen. Wie kann ich den angerichteten Schaden wiedergutmachen? Sei ganz offen. Ich habe das Vertrauen zwischen uns verletzt, und dafür darfst du etwas von mir verlangen.«
    Dowd schüttelte den Kopf. »So einfach ist das nicht.«
    »Ich weiß. Aber ich sehe wenigstens einen Anfang darin.
    Was möchtest du?«
    Der

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