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Imagica

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Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Beschworene dachte eine ganze Minute lang nach, mied dabei Godolphins Blick und starrte an die Wand. Schließlich erwiderte er:
    »Sie sprachen von einem Anfang. Zunächst einmal möchte ich den Killer, Pie'oh'pah.«
    »Warum willst du einen Mystif?«
    »Um ihn zu quälen und zu demütigen. Und um ihn schließ-
    lich zu töten.«
    »Weshalb?«
    »Sie haben gesagt, daß ich etwas verlangen darf. War das ernst gemeint?«
    »Na schön«, brummte Oscar. »Du bekommst Pie. Und du kannst ganz nach Belieben mit ihm verfahren. Sonst noch etwas?«
    »Im Augenblick nicht«, gab Dowd zurück. »Aber vielleicht später. Der Tod hat mich auf einige seltsame Ideen gebracht.
    Ich gebe Ihnen Bescheid, sobald mir etwas einfällt.«
    180

KAPITEL 14
l
    Wie sich herausstellte, war es nicht ganz so einfach, von Estabrook brauchbare Informationen im Hinblick auf die nächtliche Suche nach Pie'oh'pah zu bekommen. Die Schwierigkeiten begannen schon vor dem Gespräch mit ihm.
    Gentle erreichte das Haus gegen Mittag und sah, daß an den Fenstern alle Vorhänge zugezogen waren. Mehrmals betätigte er die Klingel und klopfte an die Tür, doch niemand öffnete.
    Gentle vermutete, daß Estabrook einen Spaziergang machte, was ihm Gelegenheit gab, sich den immer beharrlicher knurrenden Magen zu füllen. Am zweiten Weihnachtstag waren die Cafes und Restaurants geschlossen, doch er fand einen kleinen Lebensmittelladen, in dem Pakistaner arbeiteten und Christen mit trockenem Brot versorgten. Viele Regale waren bereits leer, aber das Angebot an Süßem reichte vollkommen aus, um ihn zufriedenzustellen. Gentle kaufte Schokolade, Kekse und Kuchen, nahm auf einer Bank Platz und begann mit der kalorienreichen Mahlzeit. Der Kuchen war ihm zu feucht und schwer, und deshalb brach er ihn in kleine Stücke, die er den Tauben zuwarf. Dadurch wurden noch mehr Vögel angelockt, und ein bis dahin gemütliches Picknick verwandelte sich bald in eine wilde Rangelei. Gentle sah dem Treiben eine Zeitlang zu, warf dann auch die Kekse in das Durcheinander aus gurrenden Tauben und kehrte mit der Schokolade zu Estabrooks Haus zurück. Als er sich dem Gebäude näherte, entdeckte er, wie sich hinter einem der Fenster etwas bewegte.
    Diesmal klingelte er nicht, sondern rief:
    »Ich möchte mit Ihnen reden, Charlie! Ich weiß, daß Sie zu Hause sind. Machen Sie auf!«
    Es erfolgte keine Reaktion, was Gentle zum Anlaß nahm, 181

    seine Aufforderung noch lauter zu wiederholen. Nur dann und wann rollte ein Wagen über die Straße - es bestand also nicht die Gefahr, daß sich seine Stimme im Brummen von Motoren verlor. Sie kam vielmehr einer Fanfare gleich.
    »Na los, Charlie, öffnen Sie! Oder wollen Sie, daß Ihre Nachbarn von unserer kleinen Vereinbarung erfahren?«
    Endlich glitt der Vorhang beiseite, und Estabrook warf einen Blick nach draußen, um sofort wieder in die Dunkelheit des Zimmers zurückzuweichen. Gentle wartete und holte gerade tief Luft, um noch einmal zu rufen, als es im Schloß der Eingangstür klickte.
    Estabrook erschien, barfuß und mit kahlem Kopf - was Zacharias sehr überraschte. Er hatte nicht gewußt, daß Charlie ein Toupet trug. Ohne Haarteil war sein Gesicht so rund und weiß wie ein Teller, und die Züge darin wirkten wie ein Frühstücksstilleben: Augen wie Eier, die Nase einer Tomate, würstchenartige Lippen - und alles schwamm im Öl der Frucht.
    »Wir müssen gewisse Dinge klären«, sagte Gentle und trat ein, ohne dazu aufgefordert zu werden.
    Bei dem Gespräch nahm er kein Blatt vor den Mund und gab dem älteren Mann sofort zu verstehen, daß es sich keineswegs um einen Höflichkeitsbesuch handelte. Er fragte nach Pie'oh'pahs Aufenthaltsort und wollte sich nicht mit irgendwelchen Ausreden abspeisen lassen. Um Estabrooks Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen, hatte er eine zerknitterte Straßenkarte von London mitgebracht und legte sie auf den Tisch.
    »Wir bleiben hier sitzen, bis Sie mir gesagt haben, wohin Sie an jenem Abend gefahren sind«, sagte Gentle fest. »Und wenn Sie lügen... Ich schwöre: Dann kehre ich zurück und drehe Ihnen den Hals um.«
    Estabrook versuchte nicht, irgend etwas zu verheimlichen.
    Er verhielt sich wie ein Mann, der viele Tage lang etwas Schreckliches erwartet hatte und nun voller Erleichterung zur 182

    Kenntnis nahm, daß der - menschliche - Besucher nur eine Auskunft wollte. Er schien den Tränen nahe zu sein, und seine Hände zitterten, als er im Ortsverzeichnis blätterte. Charlie meinte, bei der Fahrt

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