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Imagon

Imagon

Titel: Imagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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ausgestorben, wilde, unbändige Natur. Das änderte sich jedoch, als ich den ›Wald‹ betrat.
    Dunkle, sirrende Wolken begannen im Nu um mich herum aufzusteigen; Myriaden von Mücken, die sich auf alles stürzten, was Blut in sich trug. Ich wedelte wild mit den Armen, um sie zu vertreiben, aber es erwies sich als sinnlos. Daher setzte ich die Schneebrille auf, zog die Kapuze über den Kopf und schnürte sie vor meinem Gesicht so weit zu, dass ich nur noch durch ein kleines Loch hinausschauen konnte. Anschließend verstecke ich meine Hände in den Ärmeln. Zwar konnte ich kaum noch erkennen, wohin ich trat und sah ungemein lächerlich aus, aber das war immer noch besser, als innerhalb von Minuten Hunderte quälender Mückenstiche abzubekommen.
    Besagter Wald selbst war ein boreales Dickicht aus anfangs fingerhohen Birken und Polarweiden, die zum Talgrund hin langsam auf Kniehöhe, dann bis auf Hüfthöhe anwuchsen. Ich fühlte mich beim Blick über das Wipfelmeer wie Gulliver bei einem Marsch durch den königlichen Wald von Lilliput, und suchte den Boden nach kleinen Häusern und winzigen Menschen ab. Was ich statt dessen aufschreckte, waren faustgroße, pelzige, hamsterähnliche Kreaturen, die fiepsend wieder im Dickicht verschwanden; Lemminge. Der Untergrund wechselte ständig zwischen Moor und Heide, und jeder meiner Schritte wurde begleitet von weichem Nachfedern oder feuchtem Schmatzen. Unzählige Glockenblumen bedeckten den Boden – und winzige Heidelbeeren!
    Ich kroch zwischen den Bäumen umher wie ein hungriger Riese und pflückte die stecknadelkopfgroßen Früchte zu Hunderten ab. Hin und wieder stieß ich dabei auf Rotkappen; essbare arktische Pilze, die ich mit einem wahren Heißhunger verschlang. Die kulinarische Krönung – der Vogel mochte mir den Kindsmord verzeihen – lieferte ein Nest mit drei Eiern.
    Einigermaßen gesättigt, verschnürte ich mich wieder und kämpfte mich weiter durch Sumpf und Gesträuch. Der Anorak bot inzwischen auch keinen optimalen Schutz mehr gegen die Stechmücken; sie schlüpften selbst unter die Kleidung. Mein Ziel war daher der Gletscherbach; einerseits um mich zu waschen und nicht mehr durch den Sumpf waten zu müssen, andererseits um meinen Durst zu stillen. Dasselbe an einem der kleineren Bergbäche zu versuchen, hatte ich wegen der Moskitos längst aufgegeben. Am schlimmsten war es in der Nähe der kleinen Kesselseen. Hier gesellten sich zu den Plagegeistern der Luft noch Legionen von Blackflies und Flöhen. Der gesamte Sumpfboden und die Uferregionen waren bedeckt von schwarzen Matten springender und summender Insekten, die alle nur ein Verlangen hatten: Blut. Angesichts dieser Übermacht wunderte es mich nicht mehr, dass mir kein größeres Tier, ja nicht einmal ein Hase oder ein Fuchs im zentralen Tal begegnete. Lediglich Falken und Bussarde zogen weit über mir ihre Kreise, und hin und wieder flogen ein paar Wildgänse über mich hinweg.
    Die Vorstellung einer gebratenen Gans brachte die Entscheidung, dass ich unbedingt eine Waffe benötigte; einen Bogen, um Hasen oder Vögel zu schießen, oder zumindest einen Speer, um Fische zu fangen. Und vor allem, um mich ein wenig sicherer gegenüber jenen Kreaturen zu fühlen, die die Bergregionen dieser Welt bevölkerten und womöglich Menschenfleisch bevorzugten.
    Auf Dauer von Vogeleiern, Beeren, Pilzen und einer Portion Glück beim Erbeuten von Forellen oder Lemmingen zu leben, war kein Gedanke, mit dem ich mich sonderlich gut anfreunden konnte. Ich benötigte zudem einen Unterschlupf, eine Höhle oder ähnliches. Einen geschützten Ort für eine Feuerstelle und einen Schlafplatz. Fieberhaft überlegte ich, wie die Inuit einst ihre Wohnplätze errichtet hatten; als Hütten mit Dächern aus Grassoden, oder als Rundzelte, die mit Tierfellen bespannt waren. Aber wie kam ich an Tierfelle? Und wo fand ich in einem Gebirge, das aus Granit und paläozoischen Gneisen bestand, eine natürliche Höhle?
    Willkommen in der Steinzeit, Akademiker. Grab dir ein Loch und leg dich rein!
    Ich sah mich im Geiste bereits halb nackt, verwildert und mit Speer und Steinaxt bewaffnet durch das Tal streifen. Zumindest hatte ich noch die Möglichkeit, dem Gletscherbach flussabwärts zu folgen, um vielleicht auf eine Siedlung zu stoßen. Andererseits war nicht auszuschließen, dass eine Begegnung mit Talbewohnern, die noch nie einen Menschen wie mich gesehen hatten, sich als extrem gesundheitsschädlich erweisen würde. Der Opferungstraum kam

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