Imagon
woher das rhythmische Klopfen rührte – und entdeckte am gegenüberliegenden Flussufer eine junge Frau! Auf dem Boden kniend, musste sie in ihrem Tun innegehalten haben, als die Vögel aus dem Busch aufgestoben waren. Nun sah sie aufmerksam in meine Richtung, und für den Bruchteil einer Sekunde hatte ich das Gefühl, dass sich unsere Blicke kreuzten. Ich wagte nicht zu atmen oder mich zu bewegen und hoffte, dass die Blätter des Wacholderbusches dicht genug waren, um mich in ihrem Schatten versinken zu lassen. Die Frau ergriff einen neben ihr liegenden Speer, erhob sich und kam zögernd näher, wobei sie den Busch zielbewusst im Auge behielt. Dabei umlief sie mit fast schlafwandlerischer Sicherheit alle im Weg liegenden Felsen, was mir bewies, dass sie das Terrain sehr gut kannte. Mit jedem Schritt, den sie näher kam, konnte ich die Frau deutlicher erkennen, aber was ich sah, irritierte mich. Die unbedeckten Stellen ihres Körpers hatten eine graugrüne Farbe, von der ich nicht sagen konnte, ob es ihre natürliche Hautfarbe oder eine Art Salbe war, die vor den Mücken schützen sollte. Für einen Moment wirkte es, als spiele die Frau mit dem Gedanken, den Fluss zu überqueren, um das Gebüsch genauer zu inspizieren. Womöglich erspähte sie dabei den flüchtenden Hasen. Jedenfalls sah sie in eine andere Richtung, als würde sie etwas beobachten. Dann wandte sie sich um und lief zu ihrer Ausrüstung zurück. Sie warf sich eine Art geflochtene Tasche über die Schultern, zog ihre Schuhe aus und lief zu einem großen Stein in der Mitte des Flusses.
Ich beobachtete sie dabei, wie sie Fische fing. Den ersten, den sie erwischte, zog sie sofort von der Speerspitze, biss ihm den Kopf ab und spuckte ihn ins Wasser. Dann watete sie zurück ans Ufer, setzte sich auf einen Felsen, schlitzte dem Fisch mit einer Art Messer den Bauch auf und schlürfte die Innereien heraus. Nachdem sie die Gräten herausgetrennt und die Flossen abgebissen hatte, aß sie den Rest roh auf.
Eine Weile saß sie mit geschlossenen Augen da, dann erhob sie sich abrupt und lief zurück in den Fluss. Minutenlang stand sie nahezu bewegungslos im Wasser, bis sich ein Fisch genähert hatte, um dann blitzschnell mit dem Speer zuzustoßen. Nicht jeder ihrer Versuche war von Erfolg gekrönt, doch nach etwa einer halben Stunde befanden sich vier unterarmlange Fische in ihrer Korbtasche. Als sie gerade einen weiteren zu harpunieren versuchte, erklang unmittelbar hinter mir ein tiefes Grunzen.
Ich erstarrte. In meinem Rücken ertönte erneut das Grunzen und Schnauben, diesmal lauter. Wäre ich kein rational denkender Mensch, hätte ich behauptet, es klang wie ein schnurrender Tyrannosaurus Rex. Feuchtwarme, übel riechende Luft hüllte mich ein. Ein kehliges Gurgeln mischte sich mit den ursprünglichen Lauten, ertönte jedoch aus größerer Entfernung. Das Rauschen des Flusses hatte sämtliche Geräusche übertönt, und die Konzentration auf die Frau hatte mich kein einziges Mal über die Schulter blicken lassen.
Ich drehte mich herum, so langsam es meine Nerven erlaubten – und blickte in das braunbehaarte Gesicht eines riesigen Moschusochsen. Im selben Augenblick erklang von der anderen Seite des Flusses her eine weibliche Stimme. Ich wünschte, ich hätte meine Augen bewegen können wie ein Chamäleon; mit dem einen den Ochsen anstarrend, mit dem anderen einen Blick nach rechts werfend. Warum besaß dieses Vieh nicht die gesunde Menschenscheu? Ich hörte, wie jemand durchs Wasser auf mein Versteck zuschlurfte, ließ mich zur Seite sinken, schloss die Augen und stellte mich schlafend.
Im nächsten Augenblick vernahm ich einen überraschten Aufschrei, gefolgt von einem lauten Wortschwall, der selbst den Moschusochsen ein paar Meter auf Distanz gehen ließ. Irgendetwas krachte drei-, viermal heftig auf den Busch, begleitet von kreischenden Lauten der Frau. Unter dem ausgelösten Blätterregen spähte ich aus dem Gebüsch und blickte auf die Spitze eines Speers, der stoßbereit auf meinen Brustkorb gerichtet war.
Die Waffe zitterte leicht in den Händen der Frau, ihr Brustkorb wogte unter ihrem Felloberteil hektisch auf und ab. Kein Zweifel, mein Anblick brachte sie ziemlich aus der Fassung. Ihr Gesicht, ihre Arme und die Beine waren tatsächlich von einer getrockneten Paste bedeckt, die aus Asche und Pflanzensäften zusammengemischt worden sein mochte. Inmitten dieses graugrünen, von strähnigem schwarzem Haar umrahmten Gesichts funkelten ebenso wild
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