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Imagon

Imagon

Titel: Imagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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Könnte es nicht ein Bär sein? Welche Geschöpfe bevölkern überhaupt die Zeit, in die es dich verschlagen hat – Jahrtausende in die Vergangenheit oder in die Zukunft?
    Schweigend und frierend kletterte ich weiter, suchte zwischen den Felsen eine Möglichkeit, hinab ins Tal zu gelangen. Inzwischen war der Nebel so dicht geworden, dass ich kaum weiter blicken konnte als fünf Meter. Alles um mich herum versank in feuchtem Grauweiß, das kaum mehr als einen orientierungslosen Schritt vor dem anderen erlaubte. Irgendwann hatte ich den Eindruck, das Gelände verlaufe auf einmal diagonal, stiege links an und falle rechts leicht ab. Zudem war der Boden von deutlich weniger Geröll übersät. Dafür ragte hier und da eine massive Felsspitze empor. Ich lief aus reinem Zweckoptimismus bergab ins Ungewisse – um alsbald festzustellen, dass der Abhang immer steiler wurde. Kaum zwanzig Meter vor mir mochte sich eine Hunderte von Metern tiefe Klippe befinden, ging es mir durch den Kopf. Ein falscher Tritt, ein Ausrutschen ohne Halt …
    Ich lief bedachtsamer und versuchte nicht daran zu denken, in welch schwindelnden Höhen ich herumkletterte. Irgendwann wurde der Abhang so steil, dass ich innehielt und mich verunsichert auf den Boden kauerte. Der Fels war feucht, ebenso meine Kleidung, und meine Hände waren klamm und steif. Mein Instinkt wollte mich zwingen, wieder nach oben zu klettern. Mein Verstand hingegen ließ mich einen handgroßen Felsbrocken aufheben und ihn ein paar Meter bergab werfen.
    Der Stein kollerte schätzungsweise dreißig Meter immer rasanter den Abhang hinab, dann folgte ein Geräusch, als sei er ins Wasser gefallen. Ich lauschte noch einige Sekunden, nahm einen zweiten Stein, erhob mich vorsichtig und schleuderte ihn mit aller Kraft davon. Wieder herrschte für Sekunden Stille, dann erklang ein leises, aber deutliches Plumpsen.
    Mein Herz schlug aufgeregt gegen meine Rippen. Irgendwo dort unten im Nebel lag ein Bergsee! Wasser gegen den Durst, und mit viel Glück ein Fisch gegen den Hunger …
    Vorsichtig rutschte ich auf allen Vieren weiter bergab, ständig in Erwartung einer meterhohen Klippe, die plötzlich vor mir abfiel. Der Abhang wurde noch steiler, und ich hatte Mühe, selbst auf dem Hosenboden und mit ins Gestein gestemmten Absätzen nicht abzurutschen. Dann erkannte ich unter mir eine Wasserfläche. Der Felsabhang mündete in einem steilen Winkel direkt in den Bergsee, der an dieser Stelle einige Meter tief zu sein schien. Aber ich sah auch das andere Ufer, kaum zehn Meter von mir entfernt, flach und kiesbedeckt. Was dahinter lag, konnte ich nicht erkennen. Die gegenüberliegende Seite wurde jedoch von keinem Bergschatten verdunkelt.
    Ich entschied mich, vorsichtig nach rechts zu klettern. Der See besaß in etwa die Form eines Sichelmondes. Ich fand kein Ufer auf der rechten Seite vor, sondern eine senkrechte Felswand, von der ein dünnes, den See speisendes Rinnsal tropfte. Dafür war die gegenüberliegende Seekante nicht ganz so steil wie die, auf der ich kauerte, und nur noch etwa anderthalb Meter entfernt. Ein kräftiger Sprung, und ich war drüben.
    Während ich auf der anderen Seite noch ums Gleichgewicht rang, vernahm ich über mir ein plötzliches Donnern. Erschrocken blickte ich auf und sah durch den Nebel bereits die ersten Felsbrocken auf mich zurasen. Panikartig versuchte ich, noch ein paar Meter der Seekante empor zu klettern, als schon die ersten Geschosse ins Wasser einschlugen. Der See explodierte regelrecht, eiskalte Gischtfontänen durchnässten mich bis auf die Haut. Ich spürte einen harten Schlag gegen das linke Knie, im gleichen Moment einen stechenden Schmerz, und wäre fast zusammengeklappt und vornüber in den See gestürzt. So unvermutet sich der Bergsturz gelöst hatte, so schnell kam die Natur auch wieder zur Ruhe. Vereinzelt tanzten noch ein paar Felsblöcke funkenstiebend die Wände hinab, dann war der Spuk vorüber.
    Zitternd und triefend ließ ich mich zu Boden sinken, presste meine Hände gegen das schmerzende Knie. Nach ein paar Minuten versuchte ich das Bein anzuziehen und stellte erleichtert fest, dass es geprellt, aber nicht gebrochen war. Der wässrige Blutfleck einer Platzwunde breitete sich gemächlich auf dem Stoff meiner Hose aus.
     
    Jenseits des Sees erstreckte sich ein unüberschaubares Feld aus Gesteinstrümmern und losem Geröll hangabwärts. Es hinabzusteigen erwies sich als wahrlich halsbrecherisches Unterfangen. Ständig lösten sich beim

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