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Imagon

Imagon

Titel: Imagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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Anorak an ihren Körper, nestelte mal hier, zupfte mal dort, vergrub ihre Hände in den zu tief liegenden Taschen, drehte sich selbstversunken im Kreis und sah rührend komisch dabei aus.
    Verstohlen, mit fast geschlossenen Augen, bewunderte ich das, was unter der Kleidung hin und wieder von ihrem Körper zu sehen war, und machte mir angesichts eines nackten Paläo-Eskimomädchens in einer Schneejacke des 21. Jahrhunderts ernsthaft Gedanken über Zeitparadoxa …
     
    Als ich am nächsten Morgen erwachte, fand ich mich allein im Zelt. Die Morgensonne sandte goldene Lichtfäden durch winzige Öffnungen der Zeltwände ins Innere, durchschwebt von Rauchschlieren aus der noch schwach glimmenden Feuerstelle. Der Anorak lag wieder neben meinem Schlaflager, und nahe dem Feuer stand einem Tablett gleich ein mattenartiges Geflecht, auf dem Fischstücke, Pilze und verschiedenste Blätter und Blüten lagen. Es sollte wohl so etwas wie mein Frühstück darstellen. Die Tatsache, dass sich Nauna bemüht hatte, den Fisch und die Pilze für mich über dem Feuer zu braten, ließ mich schmunzeln. Man sah jedoch, dass sie so etwas zum ersten Mal gemacht hatte, denn stellenweise waren die Pilze und zerteilten Fische noch roh, stellenweise ein wenig zu ›intensiv‹ geröstet.
    Nachdem ich das ungewohnte, aber dennoch angenehm sättigende Mahl zum größten Teil aufgegessen hatte, trat ich – mich am ganzen Körper kratzend – vor das Zelt und hielt nach Nauna Ausschau. Der Himmel war fast wolkenlos, und ich sah zum ersten Mal den Mond. Seinem Stand nach musste er kurz vor Sonnenaufgang am Horizont aufgetaucht sein, um gegen Abend wieder unterzugehen. Das würde erklären, warum das Firmament bei meinem gestrigen Erwachen auf der Felsklippe so sternenklar gewesen war. In diesem Moment war ich glücklicher, den fahlen Mond zu sehen als die wärmende Sonne. Seine Existenz bewies mir, dass ich mich tatsächlich auf der Erde befand und nicht auf einer Welt, die nur wie eine zweite Erde aussah. Als breite Sichel hing der Trabant über den Bergen und müsste – der Ausrichtung der Sichel zufolge – in etwa acht oder neun Tagen zum Vollmond angeschwollen sein. Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich noch nicht, von welch schicksalhafter Bedeutung diese beiläufige Erkenntnis noch sein sollte.
    An der Bergflanke des Mount Breva leuchteten die Aqunaki-Tempelruinen in der vollen Pracht der Morgensonne. Nauna nannte den Berg Tana. Es war derselbe Name, den DeFries’ Abfassung des Taaloq nannte. Ich hatte mich allerdings entschieden, den mir geläufigen Namen beizubehalten. Die Vorstellung, Teil eines Göttermythos geworden zu sein, behagte mir nicht. Jetzt jedoch, als ich die Tempel zum ersten Mal in ihrer Gesamtheit sah, überkam mich unfreiwillig ein Gefühl der Ehrfurcht.
    Naunas entferntes Rufen riss mich vom Anblick der Ruinen los. Nach kurzem Suchen entdeckte ich sie etwa zweihundert Meter vom Zelt entfernt in Begleitung eines lahmenden Moschusochsen. Sie kam aus der Talmitte und trug etwas Beutelähnliches über der Schulter, und als sie näher kam, fiel mir auf, dass ihre Haut nicht mehr grün war. Unter ihrem schwarzen Haarschopf leuchtete ein blasses, jugendliches Gesicht, in dem die großen, dunklen Augen und der rote Mund wie natürliche Kontrastpunkte wirkten. Ich kratzte mich und hatte sofort staubige Hände. Die getrocknete Paste, die noch immer meine Haut bedeckte, verstopfte die Poren, und der Juckreiz an Kopf und Armen war mittlerweile unerträglich geworden.
    Als Nauna das Zelt erreichte, überschüttete sie mich mit einem unverständlichen Wortschwall, in dem wiederholt die Begriffe Kalak, Urai und Anaq fielen. Später erfuhr ich, dass es sich um Namen handelte, die sie dreien der Moschusochsen gegeben hatte. Kalak war jener Bulle, der mich Tags zuvor im Wachholderbusch aufgescheucht hatte. Gleichzeitig war er der größte Moschusochse, dem ich je begegnet war. Während es seine Verwandten der Neuzeit gerade mal auf eine Risthöhe von einem Meter zwanzig brachten, reichte mir Kalak bis unters Kinn. Dass es sich bei Moschusochsen nicht um eine Rinder-, sondern um eine schafsverwandte Spezies handelt, machte seine Größe noch erstaunlicher. Nauna benutze den Bullen sogar hin und wieder als Reittier.
    Urai war eine tragende Moschuskuh, die kurz vor dem Kalben stand, und Anaq jener junge, lahmende Bulle, der Nauna begleitete und den sie aufgezogen hatte. Ein Felsbrocken, der sich vor zwei Jahren vom Wall der Grundmoräne gelöst hatte,

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